Im trüben Winterlicht, gefiltert durch ein schneebedecktes Dachfenster, ist Boris Luries kleines Studio auf der E. 6th St. beinahe unpassierbar, angefüllt mit der Art von Unordnung, die ein Künstler über 30 Jahre ansammelt.
Im Schatten befinden sich gerollte Leinwände, Teile von Keilrahmenrahmen, Dosen mit Farbe, Pinsel in Gläsern, interessantes von der Strasse aufgelesenes Treibgut, aufs Geratewohl gestapelte Zeichnungen, ausgerissene Seiten aus Zeitschriften, Arbeitstische, auf denen weniger erkennbarer Abfall gestapelt liegt, eine Matratze auf dem Boden, eine Toilette, die nicht so aussieht, als ob sie funktioniert, und über allem dieser pelzige, graue Staub, für den es Jahre widmungsvoller Nachlässigkeit braucht, um ihn zu sammeln. Alle vier Flammen des kleinen Gasherdes brennen, aber sie durchdringen nicht die düstere Kälte. Die Wasserrohre von jemand oben im Haus sind geplatzt und deshalb tröpfelt stets planlos braunes Wassers durch ein Loch in der Decke
Lurie findet ein bisschen Platz und setzt sich auf einen der zerbrochenen kleinen Stühle. Er ist Ende der sechzig und hat prüfende, traurig schauende russisch-jüdische gute Blicke, akzentuiert von einem gestutzten grauen Schnurrbart und den sanften Spuren eines Akzents in seiner Sprache. Gegen die Kälte ist er gekleidet wie ein Packer mit einer wollenen Wachschutzmütze und dickem Pullover. Während wir uns unterhalten, schnippen wir unsere Zigaretten in eine rostige Dose auf dem Zementboden zwischen uns. Es quält mich ein bisschen, ihn rauchen zu sehen; er war gerade im Krankenhaus für eine Schrittmacher-Operation
Bis vor kurzem hatte ich nie etwas von Lurie gehört. Letzten Sommer sah ich in der Essex Street, im Schaufenster von Clayton Hats, eine von Clayton Patterson inszenierte Mikro-Mini-Kunstausstellung, genannt NO!art. Es war eine kleine Schau von vielleicht einem Dutzend Sachen — hässlich, negativistisch, im Sinne von leckt-mich-am-Arsch, da gab es kein Vertun. Das Gemalte war absichtlich „schlecht“. Die unordentlichen Collagen mit Bildern, herausgerissen aus Billigpresse und Pornomagazinen, wurden dem Betrachter ins Gesicht geklatscht als zornige Mahnung an alles Vulgäre und Unflätige in der Welt da draussen. Die Art Kunst, die das Whitney „gemein“ nennt, nur aggressiver
Ich sagte Patterson, ich denke es war nett von ihm, ein paar punkigen East-Village-Künstlern ein bisschen Raum zu bieten für eine Ausstellung. Er erklärte, die Arbeiten wären echtes East Village (ehemals Lower East Side, d.R.), — aber alle datiert von 1959 bis 1964. Soweit Patterson wusste, war es das erste Mal seit 30 Jahren, dass sie in den Staaten gezeigt wurden
NO!art war ein Moment in der Geschichte, den die Kunstgeschichte zum Vergessen verdammte. Ähnlich dem Pop-Art-Haufen, arbeiteten Lurie und die NO!Künstler mit kommerzieller und Popkultur-Bildsprache. Aber wo Pop Art im wesentlichen die Arbeit von Ironikern war, die mit den glatten Oberflächen der Konsumkultur triumphierte, grub sich die NO!art-Gruppe in die dunkle und kloakige Unterseite dieses wachsenden Zeitgeistes
NO!Künstler verbrannten Puppen, zerschmolzen Spielzeugsoldaten und kritzelten NO! wie ein Graffiti Tag über ihre Leinwände. Sie waren für Castro und Anti-Militaristen. Sie organisierten Gruppenausstellungen mit Titeln wie „Untergangs-Show (► Doom show)“, protestierend gegen JFK´s nukleare Aufrüstung, und „Der amerikanische Weg des Todes,“ eine Installation von Särgen und Leichenkunst. Sie gestalteten hässliche Skulpturen aus zerschmetterten Fernsehern und Strassenmüll, entweihten Kruzifixe und die amerikanische Flagge, und, in einer verrufenen Show, füllten sie eine Uptown-Galerie mit Skulpturen, die aussahen wie Scheisshaufen — die „Scheisse Show (Shit show)“
Wären es eher die frühen 90er als die 60er, besteht kaum Zweifel, dass NO!art eine Art medialer Lieblingsdämon geworden wäre. NO!art bekam Presse — ein paar davon geradezu gelinde unterstützend —, aber ihr letztliches Vermächtnis wurde am besten zusammengefasst vom Kritiker der New York Times und Art in America ► Brian O´Doherty, der 1971 schrieb: Es ist extrem schwierig, eine Form von Kunst herzustellen, an der Geschichte lautlos vorübergeht, die die Kunstmagazine abtun, die Sammler in Schwierigkeiten bringt und angriffslustig gegenüber den meisten anderen Künstlern ist. [NO!art] gelingt es, diese umfassende Verneinung zustande zu bringen..
Heute ist das einzige Buch, das sich der Dokumentation der Szene widmet, das von Lurie selbst mit Hilfe von Seymour Krim, dem hippen Chronisten, produzierte. Lurie begann damit 1969 und verbrachte zwei Jahrzehnte vergeblich, einen Verleger dafür zu finden. Endlich wurde es herausgebracht als ein dickes Taschenbuch, einfach NO!art betitelt, verlegt 1988 in Deutschland und nie hier vertrieben. Die Kopie, die mir Patterson lieh, verliert jedes Mal ein paar mehr Seiten, wenn ich es öffne — noch mehr Spuren verschwinden vor meinen Augen
Dass Lurie überhaupt in New York in den 50ern war, war ein bisschen wie ein Wunder. Er ist in Leningrad geboren und wuchs in der Hafenstadt Riga auf, was später Lettland war, als es 1941 von den Nazis überrannt wurde. Er war da 16, und verbrachte die nächsten vier Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern, einschließlich Buchenwald. Trotz seiner ins Auge springenden Verwendung von Abbildungen aus Buchenwald in seinen Collagen spricht er darüber nur widerwillig
„Du bist zum Tode verurteilt, und du weißt es sehr gut,“ erzählt er mir mit einem fatalistischen Achselzucken und einem Schnippen von Zigarettenasche. „Du versuchst, das Schicksal zu betrügen und dein Glück zu versuchen. Es ist alles Zufall, ob du Erfolg hast oder nicht. Ich glaube es half auch, eine robuste Verfassung und eine gewisse Hirnmasse zu haben, aber es war mehr Glück als alles andere. Es war total unvorhersehbar.“
1945, als die Alliierten in Deutschland eindrangen, flohen die Lageraufseher. Lurie flüchtete zusammen mit anderen Gefangenen, versteckte sich im Wald, verfolgt von der örtlichen Polizei aus dem nahegelegenen Magdeburg (Lurie befand sich in einem Aussenlager von Buchenwald, das ein Rüstungsbetrieb (Polte Werke) in Magdeburg war. d.R.), bis „endlich die Besatzungstruppen ankamen.“ Weil er Englisch sprach, war der junge Lurie als Übersetzer bei der U.S. Army in der Spionageabwehr beschäftigt
1946 “bekam ich die Papiere, um hier rüber zu kommen. Meine Schwester war schon in New York... Ich war sehr beeindruckt von New York. Besonders aus Deutschland kommend, das total zerstört war, die Städte komplett platt gemacht. Der letzte Ort, an dem wir stationiert waren, war bei Frankfurt. Frankfurt war nichts, nur Steine. So war das Ankommen in New York ein schockierendes Erlebnis.&ldquo
Er und ein Künstlerfreund bekamen eine Wohnung mit Kaltwasser an der Columbia St. in der Lower East Side. „Wir entfernten die Wände und machten ein Studio daraus. Es kostete 15 $ im Monat. Aber überhaupt keine Elektrizität, kein heisses Wasser. Ich war wirklich überrascht, dass es in New York Gebäude ohne Elektrizität gab. Das war die echte Lower East Side. Ich sah die Lower East Side in der allerletzten, kurzen Phase ihrer Existenz. Innerhalb von ein paar Jahren war alles weggegangen. Sie zogen alle um in die Vorstädte oder wohin auch immer
Lurie´s Kunst, weitgehend autodidaktisch, passte nicht in die 50er Kunstszene, die von den Abstrakten Expressionisten (de Kooning, Pollock, Rothko, und andere) verstärkt dominiert wurde. Seine Arbeit war figurativ im Gegensatz zu den Abstrakten. Er wollte eine sozial engagierte Kunst. Jene machten hingegen Kunst, die spirituell, transzendent und entrückt war
„Abstrakter Expressionismus wurde sehr esoterisch.........................................
(hier fehlt ein Teil der Vorlage)
Surrealistische Spasshelden waren sie. Mit Goodman war es sogar so, als würde er den Abfall zurück in dein Gesicht schleudern wollen. (Auf dem Höhepunkt seines „Zorns“ und seiner Inspiration, schreibt Lurie in seinem Buch, begann er selber, wie Abfall auszusehen, magnetisch angezogen von wertlosen Dosen auf der Strasse...) Zerbeulte Radkappen wurden zu Bilderrahmen für grob ausgetrennte Fotos von Gorillas und betenden Madonnen; eine scheusslich verbrannte Kinderpuppe lag neben einer Registrierkasse; ein grotesker Weiblicher Fetisch trug eine dreckige Shirley-Temple-Perücke und hängende Brüste
Die ► “NO!show” bestand aus der Verwendung nur dieses Wortes, hingekleckst und mit Schablone über alle Bilder, Wände, Fotos von Politikern, Holzplanken usw. gedruckt. Das veranlasste einen Kritiker, die Ästhetik der Gruppe mit NO!art zu benennen, das passte. Als mehr Künstler dazukamen, füllten die Shows komplett die Etage mit Zufallszusammenstellungen, einem grossen und spontanen Kunst-Chaos. Hakenkreuze und Handgranaten, Männchen und verunstaltete Poster, Zeitungs-Schlagzeilen, welke Blumen, Hunderte von Gipspenissen, Pilzwolken, und Esther Gilmans Christus in einer Mausefalle, was ich bemerkenswert präfigurativ finde zu Andres Serranos Pissender Christus
„Aber es gibt einen grossen Unterschied,” bemerkt Lurie über Serrano, „der macht ästhetisch sehr schöne Fotografien. Er unternimmt viel, um die Farben richtig hinzukriegen und so weiter. Dadurch hat es den sogenannten ästhetischen Aspekt.“ NO!Künstler „hatten das nicht. Sie wollten einfach heraus damit, so zwanglos wie möglich — auch so hässlich wie möglich. Tu es direkt.“
Für eine Bewegung, die aus der Geschichte verschwunden ist, ist es wichtig zu bemerken, dass diese Shows viele angezogen haben. Hauptsächlich andere Künstler, aber ebenso einige bedeutende Kunstkritiker — O´Doherty, Dore Ashton, Thomas Hess von Art News, Tom Wolfe
"Jeder kam in die March Galerie,“ sagt Lurie. „Sie machten die Szene aus. Alle Pop-Künstler kamen.“ James Rosenquist war ein Freund von einigen NO!Künstlern: Warhol war da. „Sie gingen herum, um mitzukriegen was los ist.“ Ein paar Abstrakte Expressionisten, wie de Kooning und Franz Kline, „waren persönlich sehr sympathisch, aber sie haben sich nicht verausgabt, um uns zu helfen.“ Obwohl Lurie hinzufügt, dass Elaine de Kooning, „trotz der Tatsache, dass sie nicht sehr mit unserem Tun sympathisierte, Hess vermittelte, dass dies etwas Wichtiges war.&ldquo
Wie reagierten sie alle?
„Die Leute waren alle ausser Fassung,“ antwortet er mit einem Grinsen. „So erging es praktisch jedem. Die Abstrakten Expressionisten mochten es nicht, und die Pop-Künstler mochten es nicht. Sie fühlten sich dadurch bedroht, aus zwei Gründen. Erstens, sie hofften, in den Mainstream zu gelangen, in die Uptown-Galerien. Und zweitens, sie mochten daran die sozial-propagandistischen Aspekte nicht.“
Die Sache ist die: hätte die Lurie-Truppe beabsichtigt, eher zu erfreuen als zu erschrecken, so wären die frühen 60er eine gute Zeit für eine neue, erkennbare Kunstbewegung gewesen, die ihre Präsenz in New York zeigte
„Das Neue der Abstrakten Expressionismen war vorbei,“ erklärt Lurie. Kunstinvestoren und Kunstpromoter „suchten nach einem neuen Produkt. Unglücklicherweise nicht die NO!art, denn das neue Produkt sollte zwar so anders wie möglich sein, aber gleichzeitig nicht beleidigend... etwas, das erfreulich ist, das gute Unterhaltung liefert, das einfach zu verstehen ist.“
Und das, sagt er, war Pop
Wie NO!art war auch Pop eine Zurückweisung des ästhetischen Purismus und anderer Weltlichkeiten des Abstrakten Impressionismus; wie NO!art kam die Pop Art-Bildlichkeit geradewegs aus der realen Welt der Kampfjets, der sexy Werbung und der kommerziellen Grafik. — „Aber sie nutzten es in einem entgegengesetzten Sinn,“ sagt Lurie, „Pop machte es sauber. Sie machten es geschmackvoll. Auch hatte Pop eine akademische Einstellung, die wir überhaupt nicht mochten. Es war so eine Art Blatt-vor-dem-Mund-nehmen, keine politischen oder sozialen Angelegenheiten... Wir empfanden, dass Pop Art die Umgebung der Konsumenten zelebrierte, ohne in irgendeiner Weise anstößig zu werden.“ In seinem Buch charakterisiert er Pop als einen passenden Hintergrund für Cocktailparties in der Park Avenue
Übereinstimmend mit Wolfes sarkastischen Chroniken dieser Zeit, erklärt Lurie standhaft, dass “Pop Art ein 100%ig geschäftlich gefördertes Projekt war... Den Vorgang der Organisation kann ich selber bezeugen. Das war genauso, wie wenn Du eine neue Aktie an der New Yorker Börse auflegst ... Die Gruppe kam zusammen, um Leute, die sie fördern wollten, zu sehr geringen Preisen aufzukaufen, um dann den Kurs zu steigern. Sie waren Investoren.“
Die wichtigsten Sammler und Medician-Gönner des Pop — Robert Scull, Leon Kraushaar, Dick Bellamy, Namen, die legendär wurden in der Kunst-Geld-Geschichte — waren Geschäftsleute. Sie nutzten Leo Castelli´s Galerie (und Castelli selber kam aus einem geschäftlichen Hintergrund), aber Lurie besteht darauf, dass „Castelli es nicht war, der das begann. Leute denken, so hat die Pop Art begonnen, weil Castelli sie gefördert hat. Er bot den Raum an, und ich glaube er mochte sie, aber der wahre Anstoss kam von seiner Gruppe kaltblütiger Investoren.“
„Und“, sagt er, „sie waren sehr gerissene Promoter — so wie die Protestbewegung. So hatten sie beides. Sie förderten es anders in diesem Land als in Europa. Zum Beispiel hatte Andy Warhol diese Serie mit Fotografien von Todeszellen gemacht. Das wurde hier nicht gezeigt. Sie stellten es in Paris aus. Die Leute in Paris dachten, es wäre Sozialkritik. Das, was hier gezeigt wurde, waren Suppendosen. Sie waren sehr vorsichtig damit, wie sie es taten.“
NO!art hatte ihren eigenen bescheideneren Ansturm auf Ruf und Ruhm. 1962 nahm Lurie einige Arbeiten mit auf eine Reise nach Europa. In Rom sahen 10.000 Besucher „die jemals in Rom am meisten beachtete Ausstellung von jungen Künstlern“, sagt er. Er schreibt:
Polizei versperrte Minderjährigen den Eintritt. Nach langen Verhandlungen mit Signor Liverani, dem Besitzer der Galerie „La Salita“, drohten sie, alle Arbeiten zu konfiszieren [wegen der Porno-Bildsprache]. Die „Fortgeschrittenen“ (die ästhetischen Kulturbonzen, Homosexuelle und das „Dolce Vita“-Aufgebot) unterstützen paradoxerweise die Show, wogegen die „Kommunisten“ (wie Progressive, Kommunisten und linke Intellektuelle) sie im allgemeinen heftig attackierten... Unglücklicherweise brachten uns hier die Massen und die Kontroversen „überhaupt nichts Gutes im Sinne der Aufführung, weil nichts verkauft wurde,“ erzählt mir Lurie. „Der Kunstbereich unterscheidet sich zum Beispiel sehr stark von Literaturbereich. Vielleicht ist es mehr wie Film. Der letztliche Erfolg oder Misserfolg wird lediglich dadurch beurteilt, ob es sich verkauft. Der Rest verschwindet.“
Auf der anderen Seite erklärt er auch: „Nachdem wir NO!art begonnen haben, achteten wir nicht darauf, irgendetwas verkaufen zu wollen. Und überdies,“ lächelt er, „haben wir überhaupt nichts verkauft.“
Er brachte die Show nach Milano, wo „ein Gerücht umging, wir wären die nächste New Yorker Gruppe, die nächsten vom New Yorker Establishment Auserlesenen. Das hat eine Menge Aufmerksamkeit geweckt.“ Lurie lächelt schief. „Danach kam ich nach Paris, und wurde sofort von verschiedenen Kritikern fürchterlich empfangen. Innerhalb kürzester Zeit hatten sie schon die Neuigkeit erhalten, dass nicht wir es waren, die die Auserwählten von New York seien.“ Das war, weil Pop die angesagte Sache war. Danach, sagt er mit einem fatalistischen Achselzucken, „hat mich jeder vollständig beiseite geschoben.“
Zurück in New York, kam eine Kunstsammlerin mit dem ikonenhaften Namen Gertrude Stein in die Shows der March Galerie und, anders als den meisten Sammlern, gefiel ihr, was sie sah. Aber sie war keine übliche Sammlerin. Als eine in New York Geborene kam sie aus einer Familientradition des Anarcho-Syndikalismus; die revolutionäre Emma Goldman war ihre Taufpatin — ebenso „glaube sie nicht an Gott,“ erwähnte Stein.
In ihrer Jugend Kunststudentin, begann Stein das Sammeln mit 16, verwendete ihr Taschengeld, um die Arbeiten in Raten zu zahlen. „Kunst war preiswert in diesen Tagen,“ sagt sie. Heute ist ihr Appartement gegenüber dem Central Park offen, hell und sonnenbeleuchtet wie eine Galerie, und sie lebt zwischen Gemälden und Skulpturen — wie einem Original von De Chirico, dass hinter dem Sofa hängt - , dass sie damals auflas für beinahe nichts. Ein Bild von Lurie ist auch dort, eine schöne grobe Konstruktion aus Holzplanken, überkrustet mit Farbklumpen und bekritzelt mit dem sinnbildlichen NO.
Stein stimmt mit Lurie überein, dass NO!art die meisten anderen Künstler und deren Kunstkenner „abgelehnt“ hat. „Sie waren wirklich abgestossen von dem.“ Ihr gefiel ihr Protest und der revolutionäre Geist; weil Kunst mittlerweile, „die Sache war, die mich immer am meisten interessierte wegen der Innovation. Innovationen ändern die Weise, wie wir die Welt sehen können.“ NO!art, sagt sie, „machte keine positive Darlegung,“ aber sie „öffnete dir die Augen.“
1963 eröffnete sie die Galerie Gertrude Stein im Erdgeschoss in der 81. Street nahe der Madison Avenue. Sie verkaufte Sachen wie Kandinsky und Klee in einem Hinterraum, aber der vordere Raum war NO!art gewidmet, um sie nach Uptown zu holen.
Die kurze Herrschaft erreichte dort 1964 ihren Höhepunkt mit der NO!Skulpturen Show ehemals die „Shit-Show.“ Goodman und Lurie füllten den Raum mit dem, was wie Scheißhaufen aussah — tatsächlich waren es Gipsskulpturen, aus Plastiktüten und Rohren herausgeformt und dann realistisch angemalt. Die verschiedensten Sorten von Scheisse, von langen festen Stämmen bis zu Bergen von 500 Pfund schwerem blutigem Stuhl und verquirlt aussehenden Spritzern, die die Signatur NO! formten.
In der Times erklärte O´Doherty es als die ultimative Revolution des wichtigsten Geschäfts. Stein erinnert sich, dass Leute in die Galerie kamen, dachten, es sei echte Scheisse, und sich tatsächlich einbildeten, dass es stinkt. „Sie waren darüber sehr zornig.“
Als ich zu Lurie sage, dass die Erscheinung von NO!art etwas wie ein Schlag ins Kontor der Uptown-Galerien war, erwiderte er, „ja, aber es war größtenteils ein ruhiger Schlag ins Kontor. Als wir Rezensionen bekamen, zog es ein paar Leute herein, aber ansonsten waren es keine Horden, wie wir sie in der 10th Street hatten.“ Denn Uptown lockte eine andere Art von Leuten an. Er schreibt: keine Künstler, aber Leute mittleren Alters, die wie vergnügungssüchtige „neurotische“ gutsituierte Typen erschienen, eine schwer zu definierende Menge, formlos, gallertartig.
Tom Wolfe vermerkte in seinem Rückblick zu der Show: Das Bürgertum zu schockieren wird härter und härter... Diese Leute sind frustrierend. Sie wollen immer noch nicht richtig herauskommen und schockiert werden. Sie, die Kulturbeflissenen der New Yorker Kunstwelt, schauen direkt auf die Berge, die da auf dem Boden liegen und besprechen in üblichen Worten die Mengen, die Spannung, den Druck, das Plastik-Ambiente und so weiter.
Also ein ruhiger Schlag ins Kontor.
„Die einzigen seinerzeit, die helfen konnten, unsere Arbeiten zu fördern, war die Pop-Gruppe,“ sagt Lurie. Das war Gertrude Steins Hoffnung, dass sie hereinkommen und beginnen würden, etwas zu kaufen. Dies wurde sofort von Scull abgelehnt, der hereinkam und kein Wort sagte. Nachdem er gegangen war, kam Gertrude Stein und sagte: „Du kannst genauso gut zusammenpacken. Vergiss die ganze Show. Nichts wird passieren.“
Dann wieder, als sie mit der „Scheisse Show“ weitermachten, war Kraushaar „sehr interessiert,“ sagt Lurie. „Er wollte ein paar Arbeiten kaufen.“ Die Unterstützer von Pop, forderte er, wollten sich über mehrere Galerien verbreiten „um zu zeigen, dass Pop Art eine sehr weitverbreitete, populäre Bewegung ist. Sie suchten nach trabantartigen Galerien, die sie als zweite Strippenzieher nutzen konnten. So hatte Kraushaar ein Auge auf die Galerie Gertrude Stein geworfen. Was sie gemacht hätten, höchstwahrscheinlich, wäre, ein oder zwei Leute von uns herauszupicken, um ihnen ein bisschen zu helfen, und im selben Moment die ganze Gruppe zu zerquetschen.“
In seinem Buch bezieht er sich darauf, dass, als Kraushaar zu Goodman kam und ihm persönlich gratulierte, Sam Goodman unerwartet erwiderte: ► „Ich scheisse auch auf Sie!“ Ein kleiner, selbstbewusst aggressiver und defensiver Mann, der er war, wurde Kraushaar grün und ging.
Die „Shit-Show“ war, vielleicht unvermeidlich, der letzte Exkrement-Wurf der NO!art-Gruppe. Ich hätte gern, dass es verstanden wird, erklärt Goodman, dass dies meine finale Geste nach 30 Jahren in der Kunstwelt ist. Das ist, was ich darüber denke.
„Es gab eine Trennung,“ sagt Lurie. „Gertrude Stein machte alleine weiter mit ein paar Shows“ (und hatte weiterhin eine Galerie, nun von ihrem Sohn geleitet in der Madison Avenue und 77. Street). Lurie wurde durch persönliche und familiäre Krisen beansprucht. Goodman starb 1967 an Krebs, sein Dahinscheiden von der Presse unbemerkt, und „Stanley Fisher schlug einen anderen Weg ein. Er ging in den Zen, organisierte eine Kommune.“ Er starb 1980. Ein paar NO!art-Teilnehmer fanden Erfolg mit anderen Kunstformen: Dorothy Gillespie, Michelle Stuart, Jerome Rothenberg, Allan Kaprow, die Skulpturenkünstlerin Kusama.
„Ich habe seitdem in New York nichts mehr ausgestellt,“ sagt Lurie. „In erster Linie, weil mir niemand nachjagte, um mich zu fragen, ob ich ausstelle,“ lacht er. „Und ich habe selber nichts alleine organisiert. Ich hatte niemanden, mit dem ich zusammenarbeiten konnte. Ich war in andere Bereiche verwickelt. Und ich dachte auch, dass es eine total verzweifelte Situation zu der Zeit war, weil Pop Art absolut alles übernommen hatte, so dass es keine Hoffnung gab.“
Er hörte nicht auf zu arbeiten, und sein Stil bleibt weitgehend unverändert. Er hat weiterhin in Europa ausgestellt, unlängst in Köln 1988. In Deutschland wurde ein bestimmtes Interesse und Unterstützung für NO!art durch den Verlag Edition Hundertmark aufrechterhalten, der im Laufe der Zeit Luries Buch ► NO!art herausbrachte und andere, über den Rand schauende Bewegungen wie Fluxus und den kontroversen österreichischen Aktionskünstler Hermann Nitsch förderte. In den Staaten, inzwischen, wurde NO!art „von bestimmten Leuten erwähnt, wie von Lucy Lippard in ihrem Buch über Pop Art, aber im wesentlichen verschwand sie total.“
Während es eine Frage ist, wie einflussreich NO!art war, ist es interessant, wie prophetisch sie erscheinen sollte — von der Antikriegs-Bildhaftigkeit der späten 60er über den Punk zur funky East Village-Kunst der 80er zu all dem S/M, Sex-und-Tod-Zeug der 90er. Dennoch, wenn ich Gertrude Stein frage, was sie denkt, wie Leute reagieren, wenn NO!art heute erscheinen würde, sagt sie, „Sie würden sie unterdrücken, unterdrücken und nochmals unterdrücken. Weisst du, warum? Weil es sehr schaurig ist. Die Leute wollen nicht fühlen. Leute können nicht fühlen. Sie müssen beschimpft werden. NO!art berührt sie dort, wo sie leben.“
Lurie sah die Ausstellung „Verworfene Kunst“ im Whitney letztes Jahr, und war unüberraschender Weise nicht besonders beeindruckt. Ihm gefiel das Politische, aber die Arbeiten erschienen ihm zu nett, zu ästhetisch, zu grandios in der Ausführung. „Ich denke, da ist etwas ein wenig entsetzlich, eine Kostbarkeit enthaltend... Ich denke, es ist wie eine akademische Abschweifung. Es ist das alte Zeug, ausser, dass es gereinigt und für gut befunden wurde. Ich habe das Gefühl, das kommt aus den Universitäten.“
Das NO!art Buch fasst eine Menge Kurztexte zusammen: verschiedene Manifeste der Gruppe, Kritiker-Antworten, eine progressive Todesanzeige für Goodman von ► Krim, und Briefe verschiedener Kunstfiguren vom Range eines Beat-Poeten ► Jack Micheline über die Künstlerin Lil Picard bis zum Surrealisten Louis Aragon. In einem davon schreibt die Pariser Kunsthändlerin Iris Clert: Für mich ist Kunst eine Flucht vor der Realität und kein grauenhafter Realismus, der die Schrecken unserer verrückten Zivilisation zeigt. — Wir sind umgeben von Hässlichkeit, Dreck, Verschmutzung, abscheulichen Plakaten, Gemeinheiten: warum all diese Schrecken nehmen, sie zusammenfassen und einen Protest daraus machen? Der wahre Protest ist es, Schönheit und Einfachheit zu zeigen!... Ich wäre wirklich überzeugt, wenn die Non-Künstler [sic] so weit gehen würden, sich selbst mit ihren Arbeiten in aller Öffentlichkeit zu verbrennen.
Als ich ihn frage, ob er irgendeinen Teil der Argumentation annimmt, wirft mir Lurie einen verhüllten Blick zu und denkt lange nach. „Ob ich die Idee abkaufe, dass man von Kunst erwartet, dass sie sich allem entzieht? Ich sage Dir, ich bin bekümmert mit dem reinen Ergebnis. Wenn sich jemand selber allem entziehen kann, und ich bin dennoch davon berührt, sagt mir das etwas, nun gut. Aber das meiste davon kann ich nicht leiden, weil ich denke, das ist eine langweilige esoterische Übung.“
Er widersteht meinen Versuchen, Parallelen zwischen NO!art und heutiger Kunst zu ziehen. Die Kunstwelt hat sich zu sehr verändert. NO!art existierte in einem Zusammenhang, in dem Kunst für eine kleines und wissendes Publikum geschaffen wurde, „fast wie eine Geheimgesellschaft,“ sagt er. „Wenn du ein Künstler warst, der kein Abstrakter Expressionist war, wenn zwei oder drei Leute in dieser Gruppe dich nicht mochten, warst du draussen. Du hattest keine Chance. Dasselbe gilt für Pop Art.“
„Nun — und ich denke, das ist das wichtigste Ding für das Verständnis — es ist total anders weil es ein so riesiger Markt ist. Die Dinge werden verschlungen, hauptsächlich, um den Markt zu füttern. Der Schwung ist ein völlig anderer. Der Motor muss fortwährend gefüttert werden. Die Leute werden der Neuheiten viel schneller müde als zuvor. Manchmal ist Neuheit ein guter Funke, aber grösstenteils denke ich, dass es jetzt nur Produktion für die Industrie ist.“
Eine andere wichtige Änderung, glaubt er, ist, dass eine Menge Gewicht im Kunst-Establishment sich verlagert hat von den Künstlercliquen und Galeriebesitzern, die es „monopolisierten“ in den 60ern in die Museen und angeheuerten Kuratoren, die populäre, gut beworbene Ausstellungen machen. „Leute stehen in langen Reihen [vor den Museen], und es ist nicht so wichtig, was sie zeigen. Sie kommen so oder so... Es ist schlimmer für die Kunst geworden in diesem Sinne. Sie ist mehr denn je aufgebauscht.“
Er hatte bis 1960 sein Studio in der East 6th Street, so sah er, wie die Nachbarschaft durch verschiedene Veränderungen ging, beinhaltend den Aufschwung und den Bankrott der Galerienszene im East Village in den 80ern. „Während der grossen Zeit“ dieser Szene, erinnert er sich „gab es acht, zehn Galerien in diesem Häuserblock hier.“ Jetzt gibt es keine mehr. „Jetzt ist es eine vergleichsweise nette Nachbarschaft, aber damals war es eine scheussliche Nachbarschaft. Du musstest dein Leben in die Hände nehmen, wenn du hier nachts herausgingst. Dennoch bin ich hier eines Tages herausgegangen und ein Rolls Royce parkte dort, mit einem Chauffeur. Dort war eine Galeriefassade. Diese Leute hatten gehört, das etwas los war.“
Letztlich waren die Sculls und Kraushaars ausgebildete Gönner. Mit den 80ern, findet Lurie, arteten Dinge aus, wo jeder mit etwas Geld investierte, ohne ein spezielles Interesse in oder Kenntnis über Kunst, jeder schaute, um den am meisten promoteten Künstler des Tages zu kaufen. (In der revidierten ´91er-Edition von Der Schock des Neuen, stimmt der brummige Mandarin Robert Hughes dem zu. Die 80er produzierten eine gewaltige neue Klasse von Neureichen, schreibt er, und diese Armee von potentiellen Sammlern nahmen wahr, dass Kunst die einzige Ware war, in die du grenzenlose Geldsummen stecken konntest, ohne dass es ungeschliffen und prahlerisch aussah... Je mehr Kunst du kauftest, um so mehr wirktest du wie ein Prinz.)
Zwischen dem schnellen Geld und dem Hype der kurzen Aufmerksamkeits-Zeitspanne, sagt Lurie, ist der Karrierebogen eines jungen Künstlers heute ähnlich dem eines jungen Rockmusikers — keine besonders förderlichen Bedingungen, um eine Menge bedeutsame neue Arbeiten zu produzieren.
Dann wieder, als offensichtliches Nebenprodukt der kurzen Aufmerksamkeitsspanne und den nach Neuheit hungrigen Medien gibt es den Weg, dass alle vorhergehenden kulturellen Epochen und die ganze Kunst, die sie hervorbrachten, in konstanten Umlauf gebracht wurden. Wie Schlaghosen und Der Brady-Haufen beweisen — und wie Pop Art in ihrer Weise vorwegnahmen — alles kann zurückkommen in Stil, zum mindesten als Kitsch oder Nostalgie. Vergessene Kunstbewegungen werden wiederentdeckt.
Lurie würde es natürlich nichts ausmachen, wenn NO!art davon ein bisschen Nutzen ziehen würde.
„Es wäre für mich persönlich gut,“ lächelt er, „aber es wäre auch gut, um Klarheit in die Kunstgeschichte zu bringen. Und auch für die Kunsterziehung — weil jeder von jedem was lernt.“
„Auch,“ fügt er hinzu, wäre es gut „weil, wenn sich etwas nicht etabliert, kommt es in die Abfalltonne. Es verschwindet. Sam Goodmans Arbeiten, viel davon ist verschwunden. Ich habe es nur geschafft, vielleicht die Hälfte zu retten. Der Rest ist untergegangen.“
Er hat das Goodman-Zeug, und arbeitet allein und mit anderen NO!Künstlern, auf Vorrat. Er weiss von zwei NO!art-Ausstellungen, die geplant sind in den nächsten paar Jahren. Eine wird in einem Berliner Kunstverein sein, und die andere in der Universität von Iowa, die damals eine wichtige Fluxus-Show aufbauten. Gertrude Stein arbeitet mit ihnen daran und hilft Lurie mit einer Stiftung, die sicherstellen könnte, dass ein Teil der Arbeiten erhalten bleibt.
In der Darstellung für eine Show 1970 in Deutschland schrieb Lurie: Die Zeit für Yes-art ist noch nicht da. Wer weiss? Vielleicht kommt die Zeit für YES!art noch.
Übersetzung: Nicole Becker, Berlin. Recherche-Assistenz: Cindy Behrman, Berlin.
Publiziert in: New York Press, 9.-15. Februar 1994