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BETTINA SCHULTE:
Das Verbot schön zu malen
Zur Freiburger Premiere von Shoah und Pinup
Reinhild Dettmer-Finkes Filmporträt von Boris Lurie

NO!art: Eine Kunst, die Nein sagt. Und das mit einem Ausrufezeichen. Im Land der Ja-Sager und grenzenlosen Optimisten konnte sich eine solche Haltung kaum durchsetzen. Doch Boris Lurie, NO!-Artist, blieb sich treu. Diente sich in den 60ern nicht den New Yorker Galerien und dem Kunstmarkt an, der vom abstrakten Expressionismus und der Pop-Art bestimmt wurde. "Es ist verboten, schön zu malen": Das hat Boris Lurie nicht nur von Goya gelernt. Lurie hat die Konzentrationslager Stutthof und Buchenwald überlebt. Seine Großmutter, Mutter und eine Schwester wurden 1941 in Rumbula bei Riga zusammen mit 21 000 anderen Juden erschossen.

Shoah und Pin-Ups: Ein provozierender Titel für einen sehr ungewöhnlichen Dokumentarfilm, den die Freiburger Filmemacherin Reinhild Dettmer-Finke in Zusammenarbeit mit dem Publizisten Matthias Reichelt über Boris Lurie gedreht und jetzt mit Unterstützung der Katholischen Akademie im Freiburger Friedrichsbau erstmals öffentlich gezeigt hat. Zweimal waren sie in New York, haben den Künstler in seinem phantastisch-chaotischen Atelier besucht, durch die Straßen Manhattans und nach Woodstock begleitet, wo sein listiger Freund Rocco Amento Äxte in Baumstümpfe schlägt und stecken lässt. Action Sculpture nennt er das. Auch ein Beitrag zu NO!art.

Dem Film merkt man die langsame Annäherung an einen nicht eben zugänglichen Menschen an. Behutsam tastet sich die Kamera am Anfang durch die abenteuerliche Behausung in der Lower Eastside, in der Boris Lurie sein Leben gesammelt hat: Fotos aus seiner russischen Kindheit — die er aus dem Ghetto und durch seine Lagerzeit geschmuggelt hat —, Briefe, vergilbte Zeitungsausschnitte, Bücher, Manuskripte, Bilder: Und dann spinnt sich aus dieser unvorstellbaren Fülle von Lebensspuren allmählich der rote Faden eines abenteuerlichen Lebens, spinnt sich an der eindrucksvollen Stimme Luries entlang, der raucht und raucht und raucht und dabei stückweise seine Biographie preisgibt.

Ein Sieger mit den Siegern

Eine großbürgerliche Kindheit. Der Vater ein vermögender Kaufmann und ein von sich selbst überzeugter Mensch. Einer, der nicht so schnell untergeht: Nach dem Krieg war er einer der Ersten, der wieder Geschäfte machte — mit Thyssen. Auch der Sohn entspricht nicht dem Typus des KZ-Opfers. Man sieht ihn auf der Seite der Amerikaner. Ein Sieger mit den Siegern. Ein gut aussehender junger Mann, der 1946 nach New York geht, das freie Leben der 50er- und 60er-Jahre genießt und sich für Mädchen interessiert. Die Freundin dieser Jahre, die sich in ihrer noblen Pariser Wohnung mit Wärme und Respekt an ihn erinnert, ist ein begehrtes Model. Die Pin-Ups wachsen über seine Wände — bis das Verdrängte wiederkehrt und in riesigen wüsten Collagen mit den zur Lust dargebotenen Frauenkörpern eine brisante, aggressive Verbindung eingeht: Macht, Folter und Sexualität — Boris Lurie verweist auch auf Abu Ghoreib.

Das war Anti-Pop, den keiner haben wollte. Lurie bezahlte den Preis dafür. Er war mittellos, heiratete nie, führte kein bürgerliches Leben. Dichtete Sätze wie: "Wie wollen wir die Angst füllen / wenn Mutterknochen so zersplittert sind". Dettmer-Finke setzt sich diesem Künstler aus und mit ihm auseinander. Schnörkellose Nahaufnahmen. Das runde Gesicht mit den ausgeprägten Tränensäcken. Die fast herrisch kraftvolle Stimme, der man immerzu zuhören möchte. Lurie bestimmt das Geschehen, hält die Fäden in der Hand. Das macht diesen Film, den der Freiburger Bassist Dieter Ilg mit einem bohrenden, aber sich nicht aufdrängenden Motiv begleitet, spannend. Nie weiß man, was passieren wird. Plötzlich rückt Lurie damit heraus, dass er nach dem Tod seines Vaters ein Geschäftsmann geworden sei. Mit beträchtlichem Erfolg an der Börse spekulierte. Im Keller lagert derweil seine Kunst in unübersichtlichen Regalen. Wer soll da jemals aufräumen?

Nein, ein Opfer ist dieser KZ-Überlebende nicht. Wer Nein sagen kann, ist ein freier Mensch. Inzwischen hat Boris Lurie eine Herzoperation hinter sich — die ihn, wie man im zweiten Teil des Films sehen kann, geschwächt hat — und mehrere Schlaganfälle. Sein Atelier musste er verlassen. Der Film, den Dettmer-Finke und Reichelt nächste Woche in drei großen New Yorker Kinos zeigen — der auch hier unbedingt in die Kinos gehört — , hat ihm gefallen. Das kann man verstehen. Ein solches Porträt gibt es selten. Das letzte Wort gehört selbstverständlich ihm: Die Frauen, sagt er, hätten gefunden, er sei ein schöner Mann. Dabei lächelt er. Zum ersten Mal.

Publiziert in: Badische Zeitung vom 17. Februar 2007

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