Der gewollte Zusammenprall der Gerippe von KZ-Opfern mit aufreizenden üppigen Pin-ups in Boris Luries inszenierten und rücksichtslos zusammengestellten Collagen! Schockieren uns diese Bilder noch? Im Zeitalter des Informationsüberflusses werden wir täglich mit Bildern überschüttet, zuletzt aus dem Kosovo und Guatemala, die unsere tiefsten Gefühle und Werte verletzten — ohne uns Schmerzen zuzufügen. Wir werden ohne Schmerzen verletzt.
Es scheint, als fehle uns die Zeit, ja der Glaube, an irgend einen ausmachbaren Grund dafür, diese Schocks bewusst aufzunehmen und aufzuarbeiten, um sie zu eigenen Erfahrungen zu machen. Daher schockieren mich Luries Bilder, um ehrlich zu sein, nicht mehr oder weniger als andere Bilder.
Als ich den ►NO!art-Katalog der NGBK Berlin 1995 zum erstenmal durchlas, war ich vielmehr überrascht, dass ich diese Art von Bildern nicht schon vorher gesehen und dass die Kulturindustrie uns NO!art aus nicht offensichtlichen Gründen vorenthalten hatte. Mit uns meine ich meinen Kollegen aus der Kunstgeschichte, der sich irritiert darüber zeigte, dass er nicht auf NO!art gestoßen war, als er zu Robert Morris’ KZ-Bildern forschte, die auf der documenta 8 (1987) ausgestellt waren. Auf einem seiner Bilder montierte jener Ausschnitte, Vergrößerungen und Collagen von original KZ-Bildern zwischen den Leichen den stark vergrößerten und offensichtlich unversehrten, ja lebendig nackt wirkenden Körper einer jungen Frau.
► Zum ganzen Essay, 10 Seiten PDF
Publiziert in: NO!art-Archiv, Berlin 2002