Er kam in das Tanzlokal, um den Mädchen beim Tanzen zuzuschauen. Er kam, um die Schenkel der geschminkten Frauen anzusehen. Er kam, um frustrierte, abgerissene, zu kurz gekommene Außenseiter zu betrachten, die bei der Berührung oder Nähe eines warmen Körpers erschauern. Hier war ihre Welt, der Stoff ihrer Träume.
Für einige Stunden würden sie ihre Einsamkeit ablegen, in die sie die Stadt getrieben hat. Männer, bedrückt von miesen Arbeiten, Hilfskellner und Lagerangestellte aus der Textilbranche, aus Pulloverfabriken, Tagelöhner, Köche, Hafenarbeiter, geile Vertreter, die zum Wixen nackte Haut in Sexmagazinen bewunderten. Lastwagenfahrer und Männer von der Müllabfuhr, die durch die Zähne pfiffen, wenn sie den Arsch oder die Möse eines Mädchens sahen.
Das war ihr Paradies der Träume. Die Mädchen verdienten fünfzig Cent pro Tanz. Beim Shimmy machten sich die Männer an die Frauen ran, an ihre Mösen und Beine mit Träumen voller erotischer Phantasien. Alte Männer mit steifen Schwänzen in der Hose. Frauen, die die Miete bezahlen mußten und die Babies fütterten. Gigolos und wilde Liebhaber, die nicht ins System passten. Frauen ohne Schlüpfer, die die Frustrationen nährten und Phantasien ausbeuteten.
Das Tanzlokal sah dunkel aus mit all den alten Männern und jungen Burschen, die ihre Hintern und Bäuche rieben, mit all den Männern, die ihr ganzes Leben lang nur Gummis benutzt hatten.
Dick und George und Harry und Schurmie und der arme Onkel Max, alte Männer und junge Männer mit all ihren Träumen. Eine Gesellschaft, in der Sex und Ärsche ausgebeutet und in Dollars umgesetzt werden.
Die Mädchen im Lokal konnten es auf vierzig Dollar am Abend bringen, einige ließen sich in das Elend fallen, andere nutzten es aus. Einige liebten Katzen, andere hatten Hunde zuhause.
Es war Freitagabend und im Lokal ging es hoch her. Dreißig Mädchen standen auf der Tanzfläche und warteten, daß das Lokal eröffnet würde, damit sie ihren Job antreten könnten und alles bald hinter sich hätten.
Die Schwitzenden und Schnaufenden kamen die Treppe herauf geklettert und gaben ihre Mäntel ab. Im Sommer ihrer Träume suchten manche den Unterschlupf des Winters. Die Musik begann mit einem geilen Trompetenstoß über die zurückliegende Stadt. Beine, Arme, Schenkel, Hintern, Augen, Nasen, Beine. Die Frauen warteten darauf, von den geilen Männern angemacht zu werden.
Das Lokal begann zu wackeln und zu zittern unter dem Dröhnen der Musik. Bauch an Bauch, Arsch an Arsch, Traum an Traum, Schmerz an Schmerz, Schwanz an der Möse heult es durch die Nacht.
Als Beobachter der wahnsinnigen Leidenschaften saß Boris Lurie an diesem Abend mitten unter diesen Menschen der Städte und zeichnete die Geschöpfe der Nacht, seine "Dance-Hall-Serie". Boris hat gut gearbeitet.
Das Tanzlokal gibt es nicht mehr. Ich bin froh, daß Boris Lurie zu meinen Freunden gehört. Nach all den Jahren ragen die Zeichnungen frisch wie ehedem aus meiner Erinnerung hervor. Sie sind ein Teil der Geschichte dieser Stadt genau so wie die Sorte von Leuten, die immer noch stehen bleibt, träumt, ruft und pfeift, wenn ein hübscher Arsch die Straße lang geht.
Publiziert in: ►Lurie, Boris; Krim, Seymour: NO!art, Köln 1988