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CHRISTIANE MEIXNER:
Rauminstallation zu Ehren von Boris Lurie (2004)

Seine Wohnung ist eine dunkle Grube, sein Herz auch. In den Zimmern von Manhattan stapeln sich aufgerollte Leinwände, pinnt Boris Lurie Fotos und Zeitungsfetzen an die Wände und kombiniert das Ganze mit betörenden Pin-ups: "Damit ich die Gegenwart, die Geschichte wird, nicht vergesse."

Luries Geschichte beginnt mit dem Rigaer Ghetto. Nur knapp überlebten der 1924 in Leningrad Geborene und sein Vater anschließend das Konzentrationslager, während die engsten weiblichen Verwandten 1941 in Rumbula ermordet wurden. Lurie ist ein Zeitzeuge - einer, der sich nicht nur gegen das Vergessen wehrt, sondern der auch vor vierzig Jahren mit seinen radikalen NO!art-Projekten gegen die konsumistische Glätte der Pop-art polemisierte. Eine Kultfigur, die sich bis heute nicht musealisieren lassen will und nur an Museen verkaufen würde, wenn diese ihn ähnlich entlohnen würden wie einst Andy Warhol oder Roy Lichtenstein. Aus symbolischen Gründen, versteht sich.

Eine Ausnahme hat Boris Lurie allerdings jüngst gemacht: Er ließ Naomi Tereza Salmon in seine Zimmerfluchten und damit in seine skurrile Lebenswelt schauen. Die in Weimar lebende Künstlerin hat Lurie befragt und sein konstruktives Durcheinander gefilmt, fotografiert und damit festgehalten. Nicht um seine persönliche Geschichte zu kalter Historie zu machen: Viel mehr ging es Salmon um die lebendige Vermittlung einer radikalen Haltung und die Frage, wie eine junge Künstlergeneration den Holocaust heute thematisieren kann.

"Optimistic, disease, facility" heißt die dazu gehörende Ausstellung mit fotografischen Dokumenten, einem Film, vertonten oder in grauer Fraktur an die Wände geschriebenen Gedichten von Boris Lurie und einer PC-Datenbank, die sein eigenes bildnerisches Werk vorstellt. Das Haus am Kleistpark hat die Schau von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald übernommen und präsentiert die eindrucksvolle Arbeit nun in einem klaren, mit kargen Sperrholzmöbeln eingerichteten Raum.

Man kann hören, sehen und sich ein Bild von Luries gekurvtem Leben machen. Eine Collage, die viel von den Bürden einer Erinnerung erzählt, die in ihrer ganzen Konsequenz wohl nie vermittelbar ist. "Es wimmelt groß New York von Leuten: Ich hab niemand zum Sprechen", steht an der Wand in eigentümlich schiefer Sprache und Grammatik, mit der der Künstler bewusst an seine baltendeutsche Herkunft erinnern will. Naomi Tereza Salmon gegenüber hat sich Lurie erstaunlich weit geöffnet und erzählt über sein Leben, wichtige Ereignisse und seine persönliche Haltung zur Kunst. Ihrerseits fügt Salmon diese Fragmente zu einer strengen, anspruchsvollen Rauminstallation.

Publiziert in: Berliner Morgenpost, Ressort Kultur, 16.06.2004

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