Gelb-schwarz ist es und enthält vor allem Gedichte, mit Tagen datiert, gesetzt in gotischen Lettern. Ab und zu ein Bild dazwischen. Was einen bei näherem Einlassen immer mehr packt, was an eine Bibel erinnert, aber eher das Gegenteil ist, ist eine Publikation zu einer Ausstellung in der Gedenkstätte Weimar-Buchenwald von Boris Lurie, ergänzt mit Arbeiten seiner Freunde aus der gegenwärtigen NO!art-Bewegung.
Lurie, 1924 als Sohn einer jüdischen Familie in Leningrad geboren, verlor Mutter, Schwester und weitere Verwandte in Konzentrationslagern in Osteuropa. Er selbst wurde 1945 befreit und emigrierte mit seinem Vater in die USA, wo er zusammen mit Sam Goodman 1959 die NO!art-Bewegung gründete. Als "militärischer Feldzug gegen Pop-Art" verstand sie sich, als Aufbegehren gegen deren Affirmation der Konsumgesellschaft und das schnelle Vergessen-Wollen des Holocaust. Lurie arbeitet dagegen an, will seine Erfahrungen im Rohzustand erhalten und wiedergeben, was ihm auch gelingt und was auf den Rezipienten überschwappt.
Lurie stellt Bilder der NS-Gräuel neben obszöne, pornografische Elemente der alltäglichen Konsumgesellschaft, er prangert die Kommerzialisierung und Vermarktung der Frau als Sexualobjekt an und verweist auf das Weiterleben totalitärer Elemente in der demokratischen Gesellschaft. Eine systemunterstützende und profitorientierte Kunst lehnt er ab. Das Buch mit seiner an Paul Celan erinnernden Verweigerungshaltung, Geschehenes zu vergessen, gibt bedrängend Anlass, über Kunst und wie man sie gern hätte, erneut nachzudenken. Empfohlen zur NO!art sei auch die frühere, 1995 herausgegebene Publikation anlässlich einer Ausstellung in der NGBK, Berlin. (BP)
Publiziert in: kunstbulletin, Zürich, März 2004
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