Mit ihrer Ausstellung von Arbeiten Boris Luries zeigt die Galerie Block einen interessanten Rückblick auf eine bei uns so gut wie gar nicht bekannte künstlerische Aktivität im Amerika der späten 50er und frühen 60er Jahre. Lurie war zusammen mit dem Objektemacher Goodman der Spiritus rector einer engagierten Künstlergruppe, die sich "NO!artists" nannten (zu verstehen als Künstler der Verneinung), sich gegen eine Ästhetisierung der Kunst und des Lebens wandten, mit Bildern und Aktionen einen Zweifrontenkrieg führten gegen den abstrakten Expressionismus und gegen die rücksichtslose Kommerzialisierung des Lebens, als deren Synonym sie immer wieder das Pin-up-Foto in ihren Bildern zitierten. Sie brachten das "hässliche Amerika" ins Bild - die Erinnerung an den gerade erst vergangenen Weltkrieg, die Aussicht von einem möglichen nuklearen Krieg - in ein Bild, das in seiner offenen, rohen Mal- und Montagetechnik sich gegen das Ästhetische überhaupt wendet.
Lurie und seine Freunde, von denen er uns aus späterer Zeit und in anderen Zusammenhängen Namen wie Jean-Jacques Lebel, Erro, Allen Kaprow und Allen D'Arcangelo bekannt geworden sind, begannen mit ihrem Protest gegen den abstrakten Expressionismus in der Mitte der 50er Jahre, also etwa gleichzeitig mit den Künstlern wie Robert Rauschenberg und Jasper Johns. Die "NO!Artists" blieben weitgehend unbekannt, anders als die neodadaistischen Antikünstler, die als Popkünstler dann weltweite Resonanz fanden, blieb den "NO!Artists" offensichtlich die Ironie versagt, die einem engagierten Künstler, will er nicht zum Moralapostel verkommen, eine kritische und zugleich künstlerische Position zu halten ermöglicht. Luries frühe Bilder kreisen immer wieder um das Thema des Managements. Sie protestieren gegen das Geschäft mit der Frau im Pin-up-Foto, gegen die Ausbeutung der Kunst durch das Kunstgeschäft (in der Popart) und gegen die geschäftige Ausbeutung der Wirklichkeit durch eine Kunst, die alle Lebensäußerung in Happenings verwandelt und dadurch entschärft, vergessen macht.
Immer wieder taucht das Wort "NO" in seinen Bildern auf, im Kontext mit Pin-ups, mit Fotos von Nazi-Gräueln und Kriegsnot oder allein als Schriftzeichen im Bild, in der Grafik, geschnitten in Wellpappe. Ihren Widerstand bezogen diese Bilder vor allem aus dem Erschrecken darüber, wie schnell die Konsumgesellschaft nach dem Krieg das menschliche Leid vergaß (Lurie ist 1924 in Leningrad geboren und lebte bis 1946 in Europa) und wie sie schon bald wieder mit den Atombomben experimentierte. Man sieht der spontanen Machart der Bilder Luries das Erschrecken über das Vorstellen eines neuen Chaos, über die Deformation des Menschen durch die Manager der Macht und des Geschäfts noch an.
Es gab Mitte der 60er Jahre entfernt Vergleichbares in frühen Arbeiten einiger Maler der Groß-Görschen-Gruppe (Pattrick, Diehl). Dass es diese Möglichkeit auch in Amerika gegeben hat, und immer wieder geben kann, das nimmt man mit Interesse zur Kenntnis, auch wenn diese Bilder heute leicht plakativ wirken.
In der Edition Block übrigens, gleich neben der Galerie, sieht man eine Mappe mit Grafiken einiger bekannter Pop-Künstler, denen Lurie mit Wort und Bild Ästhetizismus vorgeworfen hat. Die Mappe wurde von der Edition Multiples Inc. New York produziert. Sie enthält neue Blätter von Arakawa, Fahlström, Johns, Oldenburg, Rauschenberg, Rosenquist und Ruscha. Aus derselben Edition zeigt Block eine sehr schöne Mappe mit 10 Lithographien, auf denen der Land-Artist Dennis Oppenheim zehn Aktionen in Fotos und Plänen aufgezeichnet hat - Aktionen, die sich durch ihre Größe und Landschaftsbezogenheit gegen eine Vermittlung durch Kunstgalerien sträuben.
Mit diesen Grafiken wären wir dann der Protesthaltung eines Boris Lurie wieder etwas näher, wenn auch auf einer anderen Ebene. Die Zeichen, die Oppenheim in den Schnee oder in ein Feld zeichnet, sind eindeutig ästhetisch.
Publiziert in: DIE WELT, Ausgabe Berlin-West, vom 18. 8.1973