Zum zweiten Mal nach 1998/99 widmet sich in einer heute beginnenden Ausstellung die Gedenkstätte Buchenwald einem zeitgenössischen Künstler, der, in New York lebend und arbeitend, hierzulande kaum wahrgenommen wird: Boriss Lurie. Lurie, 1924 als baltischer Jude in Petersburg geboren, ist Überlebender des Holocaust; er war 1942 bis 1945 in Gettos und als Häftling in Konzentrationslagern interniert, zuletzt in Buchenwald. Gleich nach Kriegsende wanderte er in die Vereinigten Staaten aus und gründete die so genannte NO!art-Bewegung mit.
Was gemeinhin als Protest gegen die aufkeimende Popkultur verstanden wird, erhält bei Lurie zudem den bitteren Akzent. der „Jew Art", die in: Verstörung provozierender Radikalität immer wieder Bezüge zum Holocaust sucht. So nachvollziehbar dieser biografische Bezug sein mag, so schwierig, so in sich abgekapselt, hermetisch erscheint die Ästhetik seiner Bilder — Collagen zumeist — und Texte.
Eben diese Hermetik versucht die Medienkünstlerin Naomi Tereza Salmon mit ihrer Ausstellung ►optimistic — disease — facility in der Gedenkstätte Buchenwald zu lindern, vielleicht aufzubrechen. Sie durfte Lurie in New York besuchen, fotografiertein seiner als Kunstgehäuse gestalteten Wohnung und Atelier und nähert sich aus empathischer Perspektive ebenso der Persönlichkeit wie ihren Werken. Den Raum im Obergeschoss des ehemaligen Kammerergebäudes in Buchenwald hat Salmon multimedial mit Fotografien, Video- und Hörinstallationen so gestaltet, dass intellektuelle wie sinnliche Annäherungen an das Werk Luries möglich werden.
Ihre Hörinstallationen bieten Gedichte aus dem soeben im Stuttgarter Verlag Eckhart Holzbog erschienenen, 446 Seiten starken GroßformatBand ►Geschriebigtes / Gedichtigtes, der Texte und Werk-Abbildungen Luries aus den Jahren 1947 bis 1999 versammelt. Das Buch, von Gedenkstätten-Direktor Volkhard Knigge mit einem Vorwort versehen, wird aus Anlass der Ausstellung öffentlich präsentiert.
Luries reimlose Gedichte, die immer baltikdeutsche Verfremdungen aufweisen, zeugen von tiefer assoziativmächtiger Innerlichkeit, zuweilen auch Sprachlosigkeit, wie sie schon im Zusammenhang mit Paul Celans „Todesfuge“ in den 50er Jahren diskutiert wurde. Kunst im Angesicht des Grauens. Kunst nach Auschwitz?
Einer der autoprotokollarischen Texte des Künstlers — vom ►8. August 1999 — lautet: „Was ich zu sagen hab, ist hier,/ und wenn ich nichts zu sagen hab,/ dann sag ich’s laut, verflochten in die Steine// Und was ich nicht besagt, ist vielfältiger/ als die federdunsten Steingranaten/ Gib nur mir Zeit?/ Ich wird’ es später nach ver-Sagen!“
Publiziert in: Thüringer Landeszeitung, Weimar, vom 29.08.2003