Auch die Soldaten an der kulturellen Front, die Konfrontationskünstler, siechen einmal dahin. Sam Goodman starb an Kehlkopfkrebs, 48 Jahre alt, am 29. April 1967 im Montefiore Hospital in New York. Ein kompromissloser NO!art-Künstler der 60er Jahre, Mitproduzent der Doom-, NO!- und Shit-Show. Mit letzterer verherrlichte er die New-Yorker-Kunst-Szene im besonderen neben anderen, mehr theoretischen Zielsetzungen.
Ko-Autor des „American Way of Death", und das kurz vor seinem Ableben. Provozierte und forderte die Mächtigen genauso heraus wie die Schwachen. Als es ihm nicht mehr möglich war zu sprechen, kommunizierte er kritzelnderweise auf Papier und schrieb Skizzen für Manifeste nieder. Kurz danach erlosch sein Lebenslicht, jedoch nicht auf den Schlachtfeldern eines heldenhaften Kulturkampfes. Nein, der schleichende Tod schreit nach Nachthemden, und zwar brandneuen, verlangt Rollstühle, ruft: „Ich brauche Kraft!" In den Mitteilungen hier ist der Protest um so lauter herauszuhören, je geräuschloser er niedergekritzelt wurde. Auf der Krebsstation gibt es keine Gewinner. (Boris Lurie)
BIN / VERWUNDET / KANN NUR NICHT SPRECHEN
OH, KÖNNTE MAN DOCH ZURÜCKKEHREN IN DEN SCHOSS/ DER KLASSIK, DER TRADITION, akzeptieren/ MORAL, WIRF DEINEN BALLAST/ ÜBER BORD./ KONZENTRATION, SEI BEREIT, WEISSER/ BEREIT ZU WARTEN./ DAS GESPENST DER ALARMBEREITSCHAFT/- ICH SCHREIE
DAS HEUTE JETZT IST ALLES, WAS WIR/ WIRKLICH KENNEN. DIE GESCHICHTE/ IST EINE LÜGE. NACHWELT/EIN MYTHOS ... LEBEN/ IST EINE SERIE VON JETZTS./ES GIBT WIRKLICH/ KEINE „GROSSEN VÄTER GÖTTER" / JEDER VON UNS MUSS/ LERNEN AUS DURCHLEBTEM/AUS UNS SELBST, JETZT.
Für FRANZ (Franz Kline, d.U.)/ Was ist eine Welt/ ohne/ Farbe./ WILKES BARRE, Pennsylvania/ SCHLACKE. HALDEN wie/ wiedergekäute BERGE./ Dann// DER ZWEITE WELTKRIEG, hingeworfen / Scheiß Konfetti einer/ ausgekotzten Humanität/ verrußt von/ ÖFEN + Tod/ „Was" könnte FARBE bedeuten?/ Farbe, Farbe/ ist „LEBEN“.
Ich wandere durch geschäftig belebte Straßen/ vorbei an Leibern, finstere, verspannte/ leere Gesichter, vom Terror unterdrückt/ das Ende ist gekommen — total/ unbegreiflich/ konzentriere mich auf einen einzigen, er ist eigentlich/ in den besten Jahren/ um die Vierzig/ er hat ausgespielt, ist getäuscht worden (vielleicht Selbst-/ Täuschung)/ DIE WAHRHEIT IST ZU SEHEN, - „ER" schaut/ WOANDERS HIN! DENKEN WIR NICHT MEHR DARAN - WER WILL/SICH SCHON ERINNERN, VERGRABT EUCH im/ JAZZ, Le CINEMA, SEHT WEG/ SEHT WEG, ICH WILL MICH NICHT im DIXIELAND/ ZUM LEBEN UND STERBEN ENTSCHEIDEN./ WILL NICHT FALSCHES ZEUGNIS ABLEGEN VOM MYTHOS/ DES ROCK-N-ROLL, VON DEN SIEDLUNGSPIONIEREN, VOM BLUTVERGIESSEN/ VON DER KUNST UND DEN KRIEGSÖKONOMIEN.
VERLANGEN/ Ich kroch mit scharfem Blick durch/ Täler und Schluchten/ Abhänge und Höhlen/ konnte meine/ Blicke nicht von den Bergen abwenden/ Ich spähte genau mit/ empfindlichen Fühlern und tastete mit Fingern/ so ängstlich./ Mit schlagendem Puls und/ gespannten Nerven/ ging ich auf die Jagd nach/ neuen Zielen, überall.
WARUM KRIEG?/ DIE KUNST IST TOT! DEREN SARGTRÄGER/ DIE MIESEN HÄNDLERCLIQUEN,/ KRITIKER + KUNSTHISTORIKER./ „KUNST" OHNE BEWUSSTSEIN IST EINE/ KULTUR OHNE HOFFNUNG!!/ HOFFNUNGSLOSIGKEIT FÜHRT zu DEPRESSIONEN/ + DEPRESSIONEN zu HASS + HASS ZU/ - KRIEG!! MUSS ES/ EINEN (PSYCHOLOGISCHEN) GRUND GEBEN FÜR/ KRIEG???/ DIE MUSEEN + GALERIEN WERDEN BEHERRSCHT VON/ EINER CLIQUE INTERNATIONALER/ SCHWULER + JEDER WEISS, DASS/ SCHWULE AUS HASS BESTEHEN, +/ HASS ZERSTÖRT! MACHT KRANK!/ DIE, DIE NICHT GANZ SCHWUL SIND, SIND „Bl" . DAS BEDEUTET/ EINEN NOCH BESSEREN ZUGANG ZUR/ TOTALEN VORHERRSCHAFT.
ZUHÄLTER DER KULTUR/ AASGEIER DER GESUNDHEIT./ - ZU KUNST-POLITIKERN BESTIMMT/ WARUM SOLL KUNST POLITISCH SEIN?/ KUNST MUSS KRITISCH SEIN GEGENÜBER/ DER POLITIK./ RÜCKSCHRITTLICHE, PERVERSE/ VERWÄSSERTE, VERKNÖCHERTE WERTE/ DÜRFEN SICH NICHT DURCHSETZEN/ WIR HABEN DAS BEWUSSTSEIN WIEDERGEWONNEN/ WIR STEHEN VOR AUFREGENDEN EREIGNISSEN.
Die wahre Absicht, die wahre Natur/ drückt sich in/ wenigen aber klaren Linien aus/ Das einfältige Denken, die Dummheit/ verrät sich in den meisten/ ausgetüftelten Konstruktionen.
Alles oder gar nichts/ DIE WICHTIGSTE ROLLE/ DIE JEDWEDE KUNST SPIELEN KANN IN EINEM/ KAMPF UM LEBEN UND TOD IST/ DIE REALITÄTEN DES „JETZT“ ZU ENTSCHLEIERN/ - DAS KANN NUR DIE KUNST LEISTEN/ JEDEN TAG MÜSSEN WIR BEIM ERWACHEN/ DIE WELT ERSCHAFFEN/ EINE NEUE WELT.
KUNST IST TOT! IHRE LEICHEN-/ TRÄGER, DIE MUSEUMS-CLIQUEN, GALERIE-/ CLIQUEN, KRITIKER-CLIQUEN, + KUNSTHISTORIKER-/CLIQUEN. LASST UNS SIE WIEDERBELEBEN/ AUS DEN WRACKTEILEN ZU EINEM NEUEN!/ BEWUSSTSEIN/ AMBIGUITÄT REGIERT.
Die KUNSTWELT./ DAS WESEN DIESER KRANKHEIT/ IST „UNTERGANG!" VIELLEICHT/ KANN DER REST VON UNS WENIGER VER-/ SEUCHTEN AUFERSTEHEN/ AUS DEN „TRÜMMERN" UND MIT/ DIESEN TRÜMMERN EINE NEUE WELT ERSCHAFFEN / WIR WOLLEN KEINE NEUEN MODEN/ KEINE NEUEN KUNSTSCHULEN./ WIR FORDERN „KUNST", DIE MIT/ DEN BEDINGUNGEN DES JETZT ARBEITET! KUNST MIT/ DEM MUT AUSZUSPRECHEN, WAS IST!
KEINE „HERGEHOLTEN" ZWEIDEUTIGEN/ SCHLUSSFOLGERUNGEN, KEINE ANSPIELUNGEN AUF EINZELNE/ SPITZFINDIGE GEHEIMBEDEUTUNGEN USW. .../ (WARUM GIBT MAN UNS KOCH-/ BÜCHER, WENN WIR/ HUNGERND SCHREIEN?) MERKE/ DIE ZEITEN SIND GEFÄHRLICH./ WO SIND DIE KREATIVEN/ KRÄFTE DER WAHREN (KUNST-)EHRE/ (EIN ORDINÄRES WORT?): MUT/ WIRD DIE METAPHER DER „KUNST"/ VON JETZT AN SEIN - DER „NEUE KATALYSATOR"!!! FÜR EINE BESSERE / WELT /MACH MIT.
JETZT/ WIR WIDMEN UNS/ DEM „JETZT" !!/ ALLES ANDERE IST BEDEUTUNGS-/ LOS, UNNÜTZ IN DER KONFRONTATION MIT/ DEM JETZT! DER SCHLÜSSEL ZUM/ JETZT IST DIE KUNST/ WIR EXPERIMENTIEREN NICHT -/ RAUM IST FÜR UNS KEIN ÄSTHETISCHES/ FELD, SONDERN ein LEBENSRAUM, DEN WIR/ MIT UNSEREN ÄNGSTEN UND HOFFNUNGEN GESTALTEN./ LASST UNS DIE „ÄSTHETEN" UMBRINGEN./ KUNST IST NICHT NUR HINTERGRUND/ FÜR HAPPENINGS, SONDERN EIN TEIL DES/ DYNAMISCHEN GANZEN.
IHR HABT GAR KEINE AHNUNG WIE/ GLÜCKLICH/ IHR HIER SEID/ WIRKLICH/ IHR STEHT UNTER DRUCK!
Mein Gott, „Leger" ist gerade/ gestorben — seine Wahrheit/ falsch falsch, ein Schmerz/ im Arsch/ Cezanne der Krüppel/ sucht seine/ Krücke/ jeden Tag/ wiedergeboren werden, um/ das Universum/ wiederzuerschaffen/ ohne + gegen + Quadrate/ Lineale /.../... / bedeutsam.
KÖNNTE ICH NUR SCHLAFEN/ ACHT Stunden LANG/ ICH BRAUCHE/ KRAFT.
Kunst darf nicht länger/ als ein Fenster der/ Sehnsüchte in den Wänden gelten/ sondern soll wie ein Loch sein, mit unregelmäßigen/ Rändern, hineingeschossen/ mit einer Kanone./ Das Übertünchen unseres/ Dilemmas/ schafft die Tapetenkunst/ sie gaukelt uns einen angenehmen Hintergrund vor für/ Unterhaltungen/ Heil der Neuen Ära.
Dann das Spiel/ Stalin hat tönerne Füße/ + starb + seine/ Jünger sind sogar alle gestorben/ ebenfalls.
Gott sitzt genau hinter/ der ... Stirn/ am Morgen und/ in der Nacht verkriecht er sich in den Füßen./ Eine Zielscheibe soll nicht/ länger der Gegenstand sein,/ auf den gezielt wird./ Sie muss vielmehr den Hintergrund abgeben für/ Disputationen.
BILDER (ODER FORMEN) VON/ GESTERN SIND HEUTE/ SCHÖNE SARGNÄGEL/ FORMALE KUNST/ IST KRANKE KUNST/ KUNST IST KEINE IRRENHEILKUNDE/ KUNST BEWEGT SICH NICHT AUF EINER EBENE/ SONDERN GLEICHT EINEM LIFT./ HAPPENINGS SIND KAFFEKLATSCHS/ DA HILFT DER BLINDE/ DEM BLINDEN. INVOLVEMENT IST/ EIN MONOLOG.
SIND DIE DRAMEN EINES/ DIALOGES, IN DENEN/ DIE SEELEN IHR STREBEN AUSRICHTEN AUF/ EINE ALLGEMEINE HUMANITÄT./ GEGENSÄTZE SIND HIER NICHT/ DAS GLEICHE WIE IN DER REALITÄT/ (NUR IN DER THEORIE) IST/ DER ARSCH NICHT DER KOPF.
LASST UNS EINE MASCHINE ERFINDEN/ DIE NUR EINES RAUSWERFEN KANN, NÄMLICH/ ORIGINALE OBJEKTE/ DIE MASSE DER MENSCHEN IST GENAUSO VORHERSEHBAR/ WIE COLA-FLASCHEN UND/ MILCHKARTONS USW./ DIE ARCHITEKTUR ERNIEDRIGT/ DEN MENSCHEN ZU/ EINEM AMEISEN DASEIN
3 D 3/ Sie/ lassen Dich/ nicht allein, nicht mal für eine/ Sekunde in 24 Stunden/ ein Tag Iang Fixen/ ein FILM für DOMINIC/ Was geschah/ mit ihm?/ Weißt Du es?
Bring mir meine eigenen / Nachthemden, „brand-/ neue"/ Darf ich einen/ Rollstuhl haben?
DU WEISST DOCH,/ SIE STECHEN DICH MIT/ SPRITZEN,/ WENN DU SCHLÄFST/ SIE FÜTTERN DICH. WENN DU SCHLÄFST.
SIE SAGEN, DIE KÜNSTLICHE LUFTRÖHRE/ BRINGE MEINEN MAGEN DURCHEINANDER
„Schöhnheit" ist eine Falle/ „Anmut" ist eine Fallgrube/ das Leben ist ein Traum/ Zeit die Illusion.
Anmerkung des Übersetzers: Alle im Text durchgestrichenen Worte und Textteile entsprechen den Streichungen im Original. Zum besseren Verständnis wurden sie hier mitübersetzt.
Publiziert in: ►Lurie, Boris; Krim, Seymour: NO!art, Köln 1988