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Curt Germundson und Matthias Reichelt:
Die Rezeption der Kunst von Boris Lurie und NO!art
im Kontext der Holocaust-Debatte
im heutigen Deutschland (2002)

In diesem Essay untersuchen die Autoren die Rezeption der Kunst von Boris Lurie und NO!art in Deutschland am Beispiel von vor allem drei Ausstellungen, die in den 1990er Jahren stattfanden. Dabei konzentrieren wir uns auf jene Werke von Boris Lurie, die den vom deutschen Faschismus und seinen Kollaborateuren begangenen Holocaust thematisieren, denn dieses Thema ist für die Rezeption im "Land der Täter" von besonderer Bedeutung. Wir sind uns bewusst, dass dies nur ein Aspekt des komplexen Werks von Boris Lurie ist, der selbst Opfer der nationalsozialistischen Rassenpolitik war, denn er und viele der mit ihm in den sechziger Jahren verbundenen Künstler setzten sich in ihren Gemälden, Assemblagen, Happenings und Installationen intensiv mit vielen zeitpolitischen Themen auseinander.

Ausstellungen von Boris Luries Werk in der Bundesrepublik Deutschland fanden 1973, 1974 sowie 1988 statt. Im Jahr 1995 organisierte eine Projektgruppe der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Berlin die bisher größte NO!art-Retrospektive. Da noch viele weitere Werke von Boris Lurie vorhanden waren, beschloss die Projektgruppe, im Haus am Kleistpark eine zusätzliche monografische Ausstellung mit Werken von Lurie, der zentralen Figur und dem einzigen Überlebenden des legendären Dreigestirns der NO!art-Bewegung (die beiden anderen waren Stanley Fisher und Sam Goodman), zu zeigen.

Studentenbewegung und der außerparlamentarischen Opposition ging die NGBK 1969 aus der Spaltung der Deutschen Gesellschaft für Bildende Kunst hervor. Ein weiterer wichtiger Impuls für die Studentenbewegung war neben der Definition neuer wissenschaftlicher Ziele und Inhalte die Aufdeckung personeller Kontinuitäten aus der NS-Zeit innerhalb der Wissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland.5 Die Herkunft des akademischen Personals wurde mit dem Slogan "Unter den Talaren der Muff aus 1000 Jahren" entlarvt. Die Empörung über das lange tabuisierte Thema der Verstrickung der Elterngeneration als Täter oder stillschweigende Unterstützer entlud sich in den Universitäten. Auch zu Hause wurden die Eltern 30 immer intensiver mit Fragen zu ihrem Verhalten in der NS-Zeit konfrontiert.

Eine der bekanntesten literarischen Leistungen aus diesem Umfeld ist Die Reise von Bernhard Vesper. Diese Mischung aus kritischer Revision der bis dahin gefeierten Tradition und entschlossenem Willen zur verbandspolitischen Partizipation führte zur Bildung einer Opposition innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Bildende Kunst und schließlich zur Auflösung des alten und zur Gründung zweier neuer Verbände. Die basisdemokratische NGBK, die aus informierten, an der Studentenbewegung orientierten Einzelpersonen hervorging, versteht sich seither als politischer Kunstverein, der die Kunst in ihrem gesellschaftlichen Kontext betrachtet und die Funktionen der bildenden Kunst in unserer Gesellschaft hinterfragt. Entgegen der vorherrschenden Praxis der meist konservativen Museumswelt, Ausstellungen auf die Präsentation von Kunstwerken 40 und Künstlerbiografien zu beschränken, präsentierte die NGBK die Werke zusammen mit anderen Zeitzeugnissen und Dokumenten. In diesem Sinne setzte sich die NGBK in vielen Ausstellungen mit dem deutschen Faschismus auseinander und nahm damit eine zunächst marginale Position innerhalb der Kunstwelt ein.
vollständiger Aufsatz, 22 Seiten, mit Korrekturen und Anmerkungen von Boris Lurie

Unveröffentlichter Artikel, geschrieben für einen Beitrag in einem geplanten NO!art-Buch, herausgegeben von Estera Milman.

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Über CURT GERMUNDSON: Er ist Assistenzprofessor an der Minnesota State University, Mankato, wo er Kunstgeschichte unterrichtet. Er hielt einen Vortrag über "Kurt Schwitters und die Idee der Kathedrale" auf der College Art Association Conference 2002 und über Alexander Dorners "Atmosphere Rooms" auf der CAA Conference 2004.

Über MATHIAS REICHELT: Geboren 1955, lebt als freier Autor, Kunstkritiker, Redakteur und Kurator in Berlin. Arbeitete bei der NGBK und baute 1995 nach dem Rauswurf des Kurators Dietmar KIrves eine NO!art-Schau auf. Die NGBK basierte auf einer unkorrekten Basisdemokratie.

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