Involvement haut unter die Gürtellinie, auf alles Private darüber. Involvement ist ein tödlicher Schlag gegen die Friß-und-Stirb-ldeologie. Hier gibt es kein Entrinnen. Selbst eure Deodorants werden euch schwitzen machen. Weder Elfenbeintürme noch Cocktailfarben sind hier zu sehen. Ihr werdet nie mehr dieselben sein und sein wollen, wenn ihr diese Ausstellung gesehen habt. Hier bringt die Kunst neuen Schwung in die bestehende Krise.
Die neue March Galerie ist eine Zitadelle der Idealisten, eine letzte Bastion für die, die der kommerziellen Ausbeutung der Uptown Galerien widerstehen wollen. Wir fürchten weder die Konfrontation mit der Hölle von Hiroshima, noch mit der von Buchenwald, noch mit der ganzen verstörten Welt. Wir sehen der Wahrheit ins Auge und die Wahrheit wirkt verletzend. Wir aber sind die Wahrheit geworden ... Es ist eine aufregende Ausstellung, eine Ausstellung, in der Engagement und Unschuld zu heiligen Symbolen des Überlebens werden.
Anti-Kunst benutzt all die verschrobenen Ideen der Science-Fiction-Welt, die Pin-ups der Magazine, den Glanz der Illustrierten, den Dreck der Tageszeitungen, die Plüschwelt der Comic-Hefte, die Schickeria vom Broadway, die Massen auf der Straße und die von Buchenwald, das Explodieren der H-Bomben, die bunten Kondome der Selbstsicherheit und die ganze hollywoodianische Fernsehscheiße.
Anti-Kunst ist die Kunst, die die Menschen schwermütig macht, in der Ungeheuer reingelegt werden und Bestien als Spitzel aus Penthäusern in rosa Nerz springen. Es ist die Kunst, die erst schön wird, wenn man mit 100000 Meilen Geschwindigkeit auf den Boden knallt und die Räder dafür am Bauchnabel angenäht sind. Anti-Kunst ist so, wie wenn Mickymaus mit dem Heiligen Dulles nach Laos reist und dort von einem Schneeball erschlagen wird, den ein klitzekleiner Mönch von Tibet aus auf sie geschleudert hat, und sie dabei feststellt, dass es in Los Angeles viel lustiger ist, weil da die zerbrochenen Fensterscheiben zu blutigen Flügeln ihrer Opfer werden. Anti-Kunst ist so, wie wenn die Mad Magazin Leute eine Büstenhalterfabrik unterm Preis verschleudern und die Schickeria in New York sich damit die Blusen ausstopft; Alfred E. Neumann, der Mad Magazin Held, wird sie dabei ganz schön kitzeln, bis alle verrückt werden. Anti-Kunst ist wie die Szene in der U-Bahn: Automaten, Waschautomaten, Damentoiletten, Schminkräume und Hawai-Stuben! Anti-Kunst ist auch das, wenn man Marilyn Monroe mit einem Abfalleimer antreffen würde, in dem sie alle meine Hemdenschnipsel gesammelt hätte. Man würde mich wegen des hässlichen Abfalls anklagen und meine Haut über eine Glühbirne in Alcatrez ziehen, so dass beim Lichteinschalten der Staub über Shanghai erglühen würde. Anti-Kunst ist eine dauernde Menstruation wider die die Wissenschaftler so lähmende Schwerkraft. Die March Galerie wird hier grausam misshandelt, denn aus all dem Mist wird Anti-Kunst gemacht.
Niemand kann weder die Kunst noch die Liebe genau erklären, geschweige denn ermessen. Die Tiefe einer menschlichen Vereinigung kann ebenso wenig ausgelotet werden wie die der Kunst. Beide, die Liebe und die Kunst, sind und bleiben unerforscht ich. Und: Liebe und Kunst sind gleichermaßen das Vergänglichste und Zufälligste. Beide gewinnen nur dann an Bedeutung, wenn sie mit Leidenschaft verbunden sind. Und Leidenschaft führt zu dem, was nicht im Jenseits zu bewältigen ist. Der Tod aller Dinge ist die oberflächliche Gleichgültigkeit in unserer Welt. Das Verlangen nach Anteilnahme am eigenen Ich und die Leidenschaft werden zu einem Kampf um Leben oder Tod. Gewalt ist nur eine komische Verdrehung aller Sinnlosigkeit. Ich glaube an eine neue Kunst der verpflichtenden Gewalt: Die Kunst sollte alle Dinge zerstören, ehe sie zu nützlichen Symbolen eines unsinnigen Ewigkeitsdenkens werden und ehe sie zu Zeitzündern einer teuer bezahlten Zerstörung werden.
;Weil die meisten Kunstgalerien sich hinter finsteren kommerziellen Träumereien verrammeln, suche ich die neue Kunst in den Comic-Heften und Sensationsblättern. Da kann man die eigentlichen Katastrophen sehen, die herabstürzenden Schuttmassen, die Überschwemmungen, Sturmfluten, die Massenvernichtungen und groben Gedankenlosigkeiten: Es ist so, wie wenn sich Flugzeuge zu einem hektischen Stelldichein über New York treffen, über dem Häusermeer Schnee in Blut verwandeln und alle Kirchtürme und Begräbnisinstitute dem Erdboden gleichmachen, Schrecken verbreiten und Feuer und Flammen wie Irrlichter durch Schönheitssalons, Tankstellen, chinesische Wäschereien und staubige Selbstbedienungsläden tanzen und die wächsernen Blumenimitationen verdampfen. Dann ist für wenige Augenblicke das Leben erneuert und der Konformismus besiegt. Das ist die neue Kunst, die Schock-Kunst, die Anti-Kunst, die uns auf das Sodom und Gomorrha der H-Bomben und die Seekrankheit des gewaltsamen Todes vorbereitet.
Publiziert in: ►Lurie, Boris; Krim, Seymour: NO!art, Köln 1988