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Klaus Fabricius:
Zur NO!art ins KZ (1998)

Zur NO!art ins KZ nach Buchenwald im Winter, das war ein Vorschlag, den ich bald entscheiden sollte. Ich war nie da, flog es mir durch den Kopf, nie im KZ. Fahr auch nicht alleine hin und sollte im Warmen schlafen. Und wie sich später in einer Nebenrede des NO!art-Künstlers Boris Lurie, der dort jetzt seine Arbeiten zeigte und der in den 40er Jahren dort eingeschlossen war, herausstellte: Ja, der sagte, er habe auch schon schlechter geschlafen als an eben diesem verschissenen Ort, nämlich später mal auf einer Fähre. War’s von Reykjavik nach ... ?

Also ich habe gut geschlafen. Aber das waren nur kurze Stunden. Nicht, dass der Sturm und der Regen vor meinem Zimmer mich gehindert hätten, nee, denn mein Zimmer war gut. Die anderen auch, jedenfalls die renovierten und die im Windschatten.

Ich lernte gleich die NO!art-Experten Dietmar und Martin Kirves aus Berlin kennen. Sie zeigten uns, mit ironischem Lächeln, wie alles zu gehen hatte für diese Nacht in der ehemaligen SS-Kaserne. Am Ankunftsabend kreisten dann abenteuerliche Geschichten im Rauch der gemeinsamen Runde. Dabei hörten wir in der Einsamkeit der KZ-Gedenkstätte unheimliche Geräusche. „Sei doch mal still, was war das, hörst du das nicht auch?“ ... Ein Schneesturm fegte draußen durchs KZ-Gelände am goetheschen Ettersberg.

Morgens dann gab’s auch was zum Frühstück, gleich nebenan in der anderen Baracke, der Kantine. Noch mit dem Charme der sozialistischen Gemütlichkeit, die ich immer mal wieder verteidigte, zwischen geliebter Styropordecke und dem Imitat des Holzes im Fußbodenlinoleum. Zum Frühstück gab’s: „Haben Sie ’nen Käsebrötchen?“ - „Nein, aber Wurst mit Brötchen.“ Dass die Wurst warm war, war die gute Überraschung.

Eckhart Holzboog war in Stuttgart morgens um halbvier abgefahren, ohne Schlaf in der Nacht, über Frankfurt Flughafen, wo Boris Lurie und Clayton Patterson erst noch abgeholt werden mussten, wegen unsicherer Faktoren, denn Boris Lurie hatte seinen Reisepass nicht wieder gefunden in New York. Jetzt aber doch mehr als pünktlich, keiner wollt’s recht glauben, kamen sie an, hier auf den Parkplatz vor dem Fenster, vor unseren Augen.

Die Vorgabe des Eröffnungstermins zwang uns dann zum schnellen Aufbruch in die Ausstellungsräume im ehemaligen KZ-Desinfektionsgebäude. Es war beeindruckend. Wahrhafte Kunst. Vielschichtig und authentisch. Da hingen große und kleine Bilder, übermalte Collagen und Objekte. Eine wundersame, ergreifende Schau eines Künstlers, der also schon einmal an diesem grässlichen Ort war. Mir wurde ganz anders durch die Allgegenwart des renovierten KZ-Gebäudes und der vielen Bilder. Das Netzwerk in meinem Kopf formatierte sich neu. Impulse, eigenwillige, starke Störungen schossen dadurch.

Dann die Eröffnungsrede vom Gedenkstättenleiter Dr. Knigge, eine Liebeserklärung an den Menschen und Künstler Boris Lurie. Der stand da, hörte es und war gerührt. Es waren im übrigen doch noch einige Leute mehr gekommen, als ich vermutet hatte. Mir auffällig geworden war mittendrin Clayton. Der  videofotografierte mit linker Hand, führte gleichzeitig Videoregler mit rechts und grinste dabei in eine ganz andere Richtung.

Die Ausstellung war eröffnet. Boris Lurie antwortete jedem, der fragte. Ich kaufte das NO!art-Buch, auch wenn das schon beim Signieren auseinanderbrach. Dann gingen wir zum Eröffnungsbüfett in die  ehemalige SS-Kaserne. Oh ja, viele Leckerle gab’s. Ich probierte von allem. Gute Laune in der Runde. Der Rotkäppchen Sekt, eine ab heute prickelnde Empfehlung.

So langsam lichteten sich die Reihen, wir rückten näher zueinander. Aber blieben sitzen, auch nach dem wiederholten Veto, die frische Luft mit einem Gang nach draußen zu nutzen. Doch so richtig konnte sich das bei dem eisigen Wetter keiner vorstellen. Leider, leider, Zeit vergeht. Und der Zug nach Stuttgart wollte nicht warten. Danke dem Künstler Boris Lurie! Danke den Bildern, die mir bleiben!

Publiziert in: Boris Lurie, Geschriebigtes — Gedichtigtes, Stuttgart 2003

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KLAUS FABRICIUS geboren 1956 in Paderborn. Arbeitet mit der Absicht, dass das Staunen über die Welt Bilder hervorbringt, deren Existenz und Fragwürdigkeit die Erkenntnis von der Welt letztendlich unangreifbar macht. Lebt und arbeitet als Künstler in Stuttgart.  mehr

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