Intellektuelle Gruppen, die gegen die etablierte Gesellschaft rebellieren, werden von Tag zu Tag zahlreicher. Boris Lurie und Sam Goodman beweisen uns mit ihrer derzeitigen Ausstellung in der Galerie Schwarz, dass in der Bildenden Kunst ähnliche Prozesse im Gang sind. In früher gezeigten Arbeiten amerikanischer Künstler waren schon Anzeichen von Rebellion und Widerstand zu erkennen, doch bei Lurie und Goodman ist das ganz anders.
Hier ist die Empörung der Kern der Mitteilung, der einzig und alleinige Motor der Inspiration. Für die Kunstgeschichte ist vieles an den rebellischen Erklärungen Goodmans und Luries nicht neu: Allerdings machen sie ihre Aussagen unter völlig anderen gesellschaftlichen Bedingungen, die mit denen in den 20er Jahren nichts zu tun haben. Diese katastrophengeladene Atmosphäre, angereichert mit einer messianischen Gesinnung, ist nicht nur eine Attitüde, sondern das eindeutige Ergebnis von eindeutigen, wirklichen Verhältnissen in unserer Zeit. Obwohl die Einführung von Thomas B. Hess zur Ausstellung den Künstlern eine vage anarchistische Einstellung zuschreibt, habe ich allerdings einen gegenteiligen Eindruck vom Inhalt ihrer Arbeiten: Ein Bild wie "Lumumba ist tot" lässt keinen Zweifel zu. Eine Collage, in der Mitte ein Bild von Lumumba, bedeckt mit einem Hakenkreuz, Zeitungsausschnitte, "Adieu Amérique" verkündend, all das umgeben vom falschen Paradies einer bewusstseinsfremden, ahnungslosen, unbekümmerten Gesellschaft, die sich und alle Probleme in wütenden sexuellen Orgien zu ertränken versucht, ein vulgäres Paradies, aus dem hier und da die Worte "Dezember, ist tot ... Lumumba ..." lesbar herausragen.
Andere Bilder sind auf ähnliche Art und Weise komponiert. Und wiederum andere fehlen in dieser Ausstellung, wie Bilder gegen den Rassismus, Bilder für Cuba, Bildern in denen das Wort "Freiheit" unaufhörlich wiederholt wird. Aufgrund dieser ausgestellten Zeugnisse können wir gar nicht glauben, dass die Empörung von Lurie und Goodman nur vage und unklar sein soll. Vom Ästhetischen her verfolgen diese Künstler keine besondere Richtung; sie arbeiten weder abstrakt, ungegenständlich, noch rein abbildend, sondern benutzen alle Möglichkeiten zusammen. Sie benutzen vielmehr alle vergangenen und gegenwärtigen ästhetischen Innovationen, ohne sie weder formal noch stilistisch abzuwerten. Ihr Arbeitsergebnis ist eine vielseitige Zusammenfassung avantgardistischer Strömungen mit besonderem Schwerpunkt auf Dadaismus und Surrealismus. Goodman hat seine Plastikformen vollkommen unter Kontrolle: abgelegte Sachen, weggeworfene und verschmähte Gegenstände, die den Niedergang der Gesellschaft und ihr Ende auf der Müllhalde symbolisieren. Es handelt sich nicht um schöne Gegenstände oder Objekte, sondern es sind brutale Materialien, die trotz ihrer kompositorischen Organisation nichts an Brutalität verlieren und sich auch nicht in ein anderes Bild umformen lassen. Lurie bringt mehr eine bildnerische Sensibilität zum Ausdruck. Seine Haltung ist weniger apokalyptisch als die Goodmans. Diese Arbeiten reflektieren "Seelenzustände", Proteste, Notsignale und sind als solche auch zu betrachten. Sie versuchen, die New Yorker Schule des Abstrakten Expressionismus von innen her zu durchbrechen, sie suchen einen Ausweg, einen Ausgang. Die Arbeiten dokumentieren Brennpunkte einer Ruhelosigkeit, die die Richtung für neue Lösungsmöglichkeiten angeben kann.
Es ist schwer zu sagen, wo solch ein Protest enden wird, und zu welchen formalen Schlussfolgerungen Lurie und Goodman nach dieser hemmungslosen Phase der Negation gelangen werden. Vielleicht werden sie auf ähnliche Probleme stoßen, vor denen schon die ersten Mitglieder der europäischen Avantgarde standen, nämlich die Revolte (Empörung) komplexer und sicherer begründen zu müssen, um das Bewusstsein der ersten elementaren Aktionen des Umschwungs beständiger, elementarer und genauer aufrecht zu erhalten. Wenn Lurie und Goodman diesen Punkt erreichen sollten, werden vielleicht neue ästhetische und darstellerische Ausdrucksmöglichkeiten geboren. Dann wird ihnen der Kontrast zwischen ihrer jetzt proklamierten Wahrheit und den jetzt von ihnen benutzten bildnerischen Mitteln bewusst werden.
Publiziert in: ►Lurie, Boris; Krim, Seymour: NO!art, Köln 1988
MARIO DE MICHELI: Critico, storico dell’arte e scrittore, Mario De Micheli è nato a Genova nel 1914. Dopo varie esperienze di studio, filosofiche e letterarie, si stabilisce a Milano nel 1938, inserendosi rapidamente nei fermenti letterari più vivi della metropoli lombarda e allacciando rapporti col circuito delle idee più avanzate nell’ambito internazionale. De Micheli ha inoltre compilato una serie antologica di scritti e di immagini: nel 1951 Leonardo e la natura, nel 1976 Contro il Fascismo, nel 1983 Arturo Martini - La scultura lingua morta e altri scritti. E’ segretario generale della Fondazione Corrente e membro.di merito dell’Accademia Ligustica di Belle Arti, dell’Accademia di Carrara e dell’Accademia di San Luca a Roma. Ha donato a Trezzo sull’Adda, paese di sua madre, la propria biblioteca di oltre trentamila volumi, insieme con settanta disegni, eseguiti dagli artisti tra il 1933 e il 1945, sul tema della Resistenza. Vive a Milano, ritornando di frequente sia in Liguria, in quel di Albisola, che a Trezzo, dove con la moglie Ada è stato nominato cittadino onorario. - www.indexartium.com/scrittori/demicheli/scheda.htm