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Ulrike Abel:
Gemischte Gefühle
Zum Frauenbild in der NO!art (1995)

Das Leben in dieser Gesellschaft ist ein einziger Stumpfsinn, kein Aspekt dieser Gesellschaft vermag die Frau zu interessieren, daher bleibt den aufgeklärten, verantwortungsbewussten und sensationsgierigen Frauen nichts anderes übrig, als die Regierung zu stürzen, das Geldsystem abzuschaffen, die umfassende Automation einzuführen und das männliche Geschlecht zu vernichten. — Valerie Solanas

Die Künstler der NO!art-Bewegung haben häufig in Pamphleten zu ihren Ausstellungen einen verbalen Angriff gegen die Gesellschaft gerichtet. Vergleicht man beispielsweise die Position des in die Bewegung involvierten Künstlers Stanley Fisher von 1961: „Involvement haut unter die Gürtellinie, auf alles Private darüber. Involvement ist ein tödlicher Schlag gegen die Friß-oder-Stirb-ldeologie. Hier gibt es kein Entrinnen ..." mit der obigen Äußerung der amerikanischen Schriftstellerin Valerie Solanas, so ist man versucht, ihre Äußerungen als eine weibliche Variante von NO!art-Positionen zu interpretieren. Auch bei ihr findet sich die von den NO!-Künstlern vorgetragene aggressive Attacke gegen die Gesellschaft, wobei ihre Anwürfe vor allem dem herrschenden patriarchalen System gelten. Doch der zitierte Passus wurde erst 1968 geschrieben. Die Gründerin und das einziges Mitglied der S.C.U.M. (Society for Cutting Up Men, übersetzt etwa: Gesellschaft zur Vernichtung der Männer) machte von sich reden, als sie versuchte, den Pop-Künstler Andy Warhol zu erschießen. Nach den Gründen für ihren Attentatsversuch befragt, soll sie bei ihrer Festnahme gesagt haben: „Ich habe eine Menge schwerwiegender Gründe. Lesen Sie mein Manifest, und Sie wissen, wer ich bin.“ Ihre Schrift nennt alles, was männlich ist, als Ursache für jeglichen gesellschaftlichen Missstand. Jede Form von Unterdrückung erscheint Solanas als Ausgeburt des Mannes. Dabei stört sich die Autorin nicht an den teils groben Widersprüchen, die ihr unterlaufen. Das Mittel der Polemik erscheint ihr als eine legitime Form des schriftlichen Auslebens ihrer Aggressionen. Ähnlich wie in den Manifesten aus der NO!art-Bewegung geht es ihr um das Ausagieren ihrer hemmungslosen Wut, indem sie „die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts als die wahre Ursache aller bestehender Scheiße" beschreibt, doch letztlich bleibt diese Wut unpolitisch.

Die Pamphlete der NO!art-Bewegung benennen das Patriarchat zwar vereinzelt als Gegner und fordern seine Beseitigung, doch spielt dieses Thema eine eher marginale Rolle. Betrachtet man daneben die künstlerischen Werke der Gruppe, fällt als erster Eindruck auf, wie häufig der nackte Frauenkörper thematisiert wird. Er ist in Arbeiten von Boris Lurie, Sam Goodman, Richard Tyler, Stanley Fisher, Herb Brown und einigen anderen Künstlern in vielerlei gemalter und collagierter Form allgegenwärtig. Manche der Vorlagen, vor allem die Pin-ups in Luries Werk, stammen aus pornografischen Veröffentlichungen der Zeit, die allerdings nur heimlich, unter der Ladentheke, erhältlich waren. Die obsessive Verwendung nackter Frauenleiber wird von den Künstlern selber und in der spärlichen Literatur über die Gruppe vor allem als Ausdruck der Auflehnung und als radikal-politischer Anspruch der Künstler verstanden. Neben Themen wie dem Holocaust, Hiroshima und anderen explizit politischen Ansätzen, die durch Bilder des Schreckens in die Werke integriert werden, soll mit den Pin-ups das Patriarchat in Frage gestellt werden. Diese Position soll hier kritisch betrachtet werden, indem, ausgehend von den pornografischen Vorlagen, nach dem vermittelten Frauenbild gesucht und dabei die Bedeutung dieser Bilder im Gesamtzusammenhang des Kunstwerks verfolgt werden soll.

Kritik an Pornografie

Pornografische Darstellungen dürfen nicht, so stellt Susanne Kappler heraus, wie sie oftmals sowohl von konservativer als auch von feministischer Seite gesehen werden, mit Sexualität gleichgesetzt werden. Auch manche Autorin der feministischen Kunstgeschichte verfällt einem Irrtum, wenn sie eine „Verwechslung von Körper und Körper im Bild/als Bild" vornimmt und die avantgardistische Kunst ausschließlich unter der Maßgabe kritisiert, dass althergebrachte Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit gezeigt, anstatt dass „Entwürfe von befreiter Subjektivität" entworfen werden. Wie die PorNo-Kampagne der Frauenzeitung Emma in den achtziger Jahren greift eine solch ausschließliche Kritik an pornografischen Bildern zu kurz, denn diese vermitteln nur eine Scheinrealität, die allerdings in einem symbiotischen Verhältnis zur gelebten Praxis steht. Die Darstellung soll insbesondere von seiten der Produzenten als Spiegelbild der Realität verstanden werden.

Das pornografische Bild stellt die Frau zur Schau, wobei möglichst der Anschein erweckt werden soll, dass sich die Darstellerin selbst darbietet. Damit erhält sie scheinbar die Rolle eines „aktiven Subjekts". Dieser Auffassung tritt Kappler entgegen, wenn sie aufzeigt, dass die Grundstruktur der pornografischen Darstellung die Frau als „Schauobjekt für das Subjekt des Schauens" behandelt. Der (männliche) Betrachter tritt in der Rolle des potentiellen Eroberers der „inszenierten Frau" - lächelnd, einladend, attraktiv und erotisch - entgegen. Durch seinen Blick wird die Frau zum Objekt: der Betrachter beurteilt das Bild als etwas Fremdes. Ohne Interesse an einer Person, also aus einer gewissen Interesselosigkeit heraus, soll das Gesehene dem eigenen Lustempfinden dienen. Dabei spielen Geschmack und Genuss die bedeutsamsten Rollen. Kappler betont, dass der Betrachter die Objekte durchaus von der Realität trennt und sich so ein „eigener Bereich des Ästheti-schen" bildet. Durch die Verdinglichung des Objekts steigert sich das Lustempfinden, je mehr das Gefühl der Macht, der Kontrolle darüber gewonnen wird..

Boris Lurie greift mit seiner Art der Verwendung von Pin-ups - dem „Verkehrten an Miss Amerika" - den verdinglichenden Aspekt der Pornovorlagen an, indem er die den Bildern innewohnende Frauenverachtung auf eine drastische Art und Weise darstellt. In der Arbeit Railroad Collage von 1963 konfrontiert er einen halbnackten Frauenkörper mit einem Leichenberg aus einem KZ und erzielt so eine schockierende Anspielung, bei der der Konsum von Pin-ups auf eine Ebene mit der Judenvernichtung im Dritten Reich gerät. Dazu meint er in einem Interview aus diesem Jahr: „Von sexueller Revolution gegen den Krieg wollten wir nichts wissen. Wir waren vielmehr gegen die Vermarktung der Frauen in den Massenmedien." Der Genuss eines Betrachters, narzistisch oder voyeuristisch, auf den die Nacktaufnahme ursprünglich ausgerichtet war, wird durch eine solche verfremdende Zusammenstellung jäh gestört und unmöglich gemacht..

Luries Collagen, vor allem die Gruppe der „Pin-ups in Wax", verknüpfen die Pornobilder mit Schmutz. Oft bis zur Unkenntlichkeit verdecken unregelmäßige, teils farbige Schichten die darun-terliegende Ebene der Fotovorlagen. Manche dieser Schichten erinnern in ihrer Farbigkeit und Konsistenz an Menstruationsblut oder Scheiße. Die „schmutzige" Ästhetik kann als Zeichen einer im Vordergrund stehenden kritischen Aussage interpretiert werden. In diesem Sinne sieht Siegfried Gohr einen grundlegenden Zusammenhang von „hässlicher", unästhetischer Optik und kritischer Dimension, vor allem als Widerstand gegen jegliche Form totalitärer Ideologie: „Das Erscheinen des Hässlichen fällt mit jenen Momenten der Geschichte zusammen, wo das Individuelle sein Recht fordert oder einklagt. Das Hässliche folgt keiner Regel und keinem Ideal; es erscheint als Zeichen für den Widerstand des einzelnen. Das Hässliche ist unbrauchbar für faschistische, doktrinäre, repressive Organisationen, da diese vom Schein profitieren. Das Hässliche dagegen kann nicht Ideal sein - es verweigert sich und hält Wunden offen ... Das Hässliche verharrt näher beim Existentiellen, näher beim Menschen.".

Von einer ähnlichen Annahme wie Gohr geht der Katalog zu der Ausstellung „Abject Art" (übersetzt etwa: Niedere/ Verworfene Kunst), die 1993 im New Yorker Whitney Museum stattfand, aus. Unter Berufung auf Julia Kristevas Begriff der „abjection" entwickeln die Ausstellungsmacher ein Konzept, regel- und grenzüberschreitende Kunst zu zeigen, die unter Verwendung von Materialien wie Schmutz, Haar, Exkrementen etc. die gesellschaftlichen Tabus Geschlecht und Sexualität proble-matisieren. Insbesondere das Tabu des weiblichen oder auch des mütterlichen Körpers wird thematisiert als Sinnbild des „monströsen Weiblichen". Als entsublimierte Äußerung steht hier das Unsaubere für das Herauskehren des Inneren und unterwandert das Schöne und Sublime. Eine solche Kunst berührt die Grenzen der Sinnlichkeit, auch wenn sie Ekel erzeugt. Simon Taylor betont die Aktivierung von „psychischen Traumata, persönlichen Obsessionen und Phobien“ als grundlegenden Zug der „Abject Art". Die Stabilität des „Imago" wird durch Spuren des körperlichen Abfalls angegriffen. Gleichzeitig wird die gesellschaftliche Hierarchie, die den Kopf über den Unterleib stellt, verunsichert..

Indem sie in ihrer Kunst durch die Verwendung von als un-ästhetisch empfundenen Materialien zu einer nicht ungebrochen zu konsumierenden Optik gelangen, prangern die NO!Künstler die Produ-zenten und Konsumenten der pornografischen Vorlage an. Die Pin-ups, die in ihrer Zeit als „schmutzig" angesehen wurden, werden veröffentlicht, d.h. durch den Verlust ihrer Heimlichkeit werden sie für den Diskurs zugänglich. Das Private wird zum öffentlichen Gebrauch freigegeben. Die Werke wollen den braven Bürger als Konsumenten schockieren, indem sie seine „schmutzigen" Phantasien in eine „Schmutzästhetik" einbinden. Die beunruhigenden Anteile können, frei nach Simone de Beauvoir, dazu beitragen, „das wesentliche Problem in Frage zu stellen, das in anderer Form auch unsere Zeit bedrängt: die wahre Beziehung von Mensch zu Mensch.“ Die „Eigentlichkeit des Menschen" und seine Freiheit, jenseits der Beschränkungen durch eine moralisierende Gesellschaft, wird als Intention der NO!art erkenntlich, die ihr durch das künstlerische Erscheinungsbild als „Schmuddelkunst" den Weg in die Museen versperrt hat.

Das „Gefallen am Unangenehmen“

Zu der kritischen Dimension tritt das „Gefallen am Unangenehmen", wenn das Hässliche, Schreckliche und Gemeine als positive Elemente der Darstellung anerkannt werden. Die Künstler integrieren das Hässliche nicht nur aus tiefer Empörung heraus in ihre Arbeiten, um dem Schönen in der Kunst, das als verlogenes Erscheinungsbild der gehassten Gesellschaft angeprangert wird, die Gegenposition vorzuhalten. Das Hässliche ist hier nicht nur der Gegensatz des Schönen, als der es nur wenig Eigenwert hat, da das Angenehme/Schöne stets unangefochten die Vormachtstellung in der Ästhetik hat. Als eigenständige Kategorie steht es in engem Zusammenhang mit dem Verlangen nach „heftigen Emotionen“. „Die Analyse dieses Gefallens führt zu einem differenzierten Verstehen unseres Interesses am Unangenehmen in seinen verschiedenen Formen und Stärkegraden und der Erkenntnis der Wirkung des Unangenehmen.“vDie obsessive Lust, mit der die NO!Künstler die Pin-ups in ihren Werken verarbeiten, gesellt zu den eher abstrakt wirkenden, politischen Intentionen den Aspekt des Aufgeilens am Dargebotenen, der auch dem männlichen Künstler eigen ist und der ihn nahtlos mit dem „feindlichen", bürgerlichen Betrachter verbindet. Der Künstler verbindet die Rolle des Produzenten von Kunst mit der des Konsumenten. Auch noch im Kunstwerk fungiert die Frau als Projektionsfläche des männlichen Begehrens und wird mit positiven und negativen Bildern besetzt: mit dem Wunsch nach dem grenzenlosen Zugang zu ihrer Sexualität wie auch mit dem Verlangen nach ihrer Verfügbarkeit. Cornelia Klinger nennt in einem anderen Zusammenhang einen solchen Ersatz für die reale Frau „Metapher-Frau“..

In dem bereits erwähnten Interview von 1995 geht Lurie auf sein gespaltenes, bis zum Hass gehendes Verhältnis zu Frauen ein. Unter Bezugnahme auf seine frühen Arbeiten, den sogenannten Dismembered Women (zerstückelte Frauen), meint er: „Wir waren gegen die Kommerzialisierung von Sex durch die Frauen selber. Ohne Geldausgeben keine Befriedigung ... Das heißt, in meinen Pin-ups gab es auch Wut gegen Frauen.“ Eine zeitgenössische Äußerung von 1960 verdeutlicht die persönliche Leidenschaft des Künstlers für die Darstellungen nackter Frauen: „Ich studiere sie (Magazine mit Pin-ups) mit entschlossener Gründlichkeit. Ich will wissen, welche dieser Schönheiten mir am besten gefällt und warum. Was für Meisterwerke! Wer ist meine Regina Superior? Aber es gibt so viele verschiedene Typen ... sie schmelzen ineinander, werden austauschbar, verwandeln sich ins Gegenteil und rivalisieren miteinander. Der Künstler sieht sein Verhältnis zu den Bildern wie eine lebendige Beziehung, bei der beide Seiten miteinander agieren: „Ich schnitt Hunderte von Girlie-Fotos aus den Magazinen aus. Die Wände meines Ateliers waren damit bedeckt, besteckt und beklebt ... Allmählich drangen die Mädchen in mein Schlafzimmer. Ich betrachtete sie... Sie beobachteten mich. Den folgenden künstlerischen Akt, bei dem eine Pin-up-Collage entsteht, beschreibt Lurie dann als aggressive Gewalttat, um die Verselbständigung dieser Bilder (in seinem Kopf) zu beenden. „Ich riss die Mädchen von den Wänden. Sie landeten auf der Leinwand, um sie und über sie ergoss sich die Farbe. Sie erstickten darin,... neue Mädchen ersetzten den Verlust, ...“ Im Ergebnis überschneiden und überlagern sich die angehäuften Körper, manche werden so bearbeitet, dass sie nur noch als Fragmente sichtbar sind..

Die Abwehr gegenüber dem Weiblichen wird auch in Manifesten von Luries Künstlerkollegen formuliert. Die nicht nur in Worten, sondern auch in der künstlerischen Aktion ausgelebte Zerstörungswut richtet sich aggressiv gegen die dargestellten Frauen und ihre Körper. Damit behandeln auch die Künstler - zwar gebrochener als der Konsument des Pin-ups - die Frau als das Fremde und als Objekt. Sie beharren trotz der Heimlichkeit, aus der sie die pornografischen Bilder lösen, auf dem letztlich gesellschaftlich akzeptierten Klischeebild von Frauen. Mit ihrer Zurschaustellung des Frauenkörpers und durch den indirekten Verweis auf seine Benutzbarkeit liegt eine Manifestation von Gewalt vor, die als eine „Form der Respektlosigkeit" verstanden werden kann. Die zu Beginn ausgeführten Unterscheidungen zwischen NO!-Kunst und Pornografie relativieren sich in diesem Blickwinkel, in dem die Frau als „Ware" auf Sexfunktionen reduziert wird..

Gezeigt wird die negative Seite der Sexualität, die Darbietung und Käuflichkeit von Frauen, wie sie einerseits in den Massenmedien dargestellt und von den Künstlern kritisiert werden (Dimension der Vorlage), wie sie aber gleichzeitig in Künstleraussagen zu finden sind und die von der Vorlage in das Kunstwerk übergehen (dem Werk inhärente Dimension). Beide Ebenen sind in den Collagen der NO!Künstler nicht leicht zu trennen..

Über die hässliche Seite der Erotik führt Simone de Beauvoir in ihrem Essay „Soll man de Sade verbrennen?" aus: „Diese Verbindung von Schmutz und Erotik ist bei ihm (de Sade) ebenso selbst-verständlich wie die Verknüpfung von Grausamkeit und Erotik, und sie lässt sich analog erklären. Die Schönheit ist etwas allzu Einfaches; man kann sie durch ein verstandesmäßiges Urteil erfassen, das weder das Bewusstsein seiner Vereinzelung noch den Leib seiner Indifferenz entreißt. Das Schmutzige hingegen erniedrigt ...“ Der Schmutz, mit dem sich die Künstler auseinandersetzen, betrifft sie ebenso wie die attackierte Gesellschaft, von der sie ein Teil sind. Beauvoirs Fragen in Bezug auf de Sade haben durchaus für sie Bedeutung: „Begeht Sade das Böse, um sich schuldig zu fühlen? Oder hebt er seine Schuld dadurch auf, dass er sie auf sich nimmt? Auf eine Antwort legt sich die Autorin nicht fest, denn sie meint, de Sade würde zwischen den beiden Polen schwanken. Gleichzeitig entpuppe sich seine Grausamkeit und seine Affinität zum Schmutz als „Ersatz für die Erschütterung. Für die NO!Künstler bedeutet hingegen die schmutzige Optik ihrer Arbeiten gerade den Ausdruck ihrer Erschütterung. Doch wie bei de Sade fehlt in den Bildern die Ebene der Erotik und der erfüllten Lust. Sie entwickeln keine Perspektiven, sondern prangern an.

Der voyeuristische Blick

Dass persönliche Obsessionen des Künstlers für die Arbeiten eine Rolle spielen, verdeutlicht insbesondere Luries Love Series von 1962. Unter diesem ironisch zu verstehenden Titel, der zu einer ambivalenten Aussage der Werke beiträgt, werden Fotos von sadomasochistischen Szenen zusammengefasst, bei denen die fotografische Vorlage nur wenig bearbeitet auf die Leinwand übertragen wird. Im Gegensatz zu den meisten Pin-up-Collagen, die entweder durch die aufrüttelnde Zusammenstellung mit Darstellungen von Gewalttaten aus dem Zweiten Weltkrieg oder durch ein aufgemaltes NO! die Distanzierung verdeutlichen, fehlt hier die eindeutige Stellungnahme des Künstlers. Den Mittelpunkt des Bildes bildet die gefesselte Frau, durch deren betont fremdartige Inszenierung ein Sinnbild mystischer Geschlechtlichkeit entworfen wird. Weitere Personen, die an einer Handlung beteiligt sein könnten, wie diejenige, die die Fesselung vorgenommen hat, fehlen, und so kann der Betrachter die Position des imaginären Gegenübers einnehmen. Stärker als die Pin-ups, bei denen ein ins Bild integrierter Zuschauer ebenfalls fehlt, thematisieren die Arbeiten seinen Blick..

Für das pornografische Bild sieht Kappler die Distanzierung vom weiblichen Körper, wie bereits ausgeführt, als eine Grundbedingung. Sie sieht einen engen Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit, die Frau auf Distanz zu halten, und einer tiefliegenden Angst vor dem Weiblichen, das sich schon im offensiven Blick einer Frau ausdrückt. Sie schreibt: „Die Frau wird als ähnlich, aber verschieden verstanden ... Durch ihren Blick empfindet er (der männliche Betrachter) jedoch Unsi-cherheit und Angst... Er schätzt es nicht, ... die Subjektivität des eigenen Blickes aufzugeben und Objekt des Blickes eines anderen zu werden.“.

Dem voyeuristischen Blick gelten schon lange Angriffe konservativer und christlicher Kreise, um ihn durch Sanktionen zu regulieren und zu kontrollieren, um soziale Tabus aufrecht zu erhalten. Dieser Haltung muss entgegengesetzt werden, dass der Vorgang des Schauens durchaus subversive Strategien beinhaltet, da die Schaulust stets mit der Wissbegier verknüpft ist, wie uns die Psychoanalyse lehrt. In der feministischen Diskussion um „sex" (biologisches Geschlecht) und „gender" (soziokulturelle Konstruktion von Geschlecht) wird auf diesen Aspekt aufmerksam gemacht, gleichzeitig aber auch das Gezeigte einer kritischen Untersuchung unterzogen. Sigrid Schade und Silke Wenk stellen fest, dass die Geschichte des Aktbildes mit „der Entwicklung eines Blickes aus der räumlichen Distanz, eines Blickes, der selbst nicht gesehen werden will", einhergeht: Sie verweisen auf die Versuche der kunstwissenschaftlichen Grenzziehung zwischen „reinem Betrachten" und „bloßem Sehen", um das erstere dem Kontext Kunst zuzuordnen, das zweite aber, das mit „struktureller Gewalt" einhergehen kann, außerhalb anzusiedeln. Es geht um den Versuch, Kunst und Pornografie, Öffentliches und Privates zu trennen..

Für die Frauenbilder, die NO!art zeigt, ist die Konstituierung des Blickes von zentraler Bedeutung. Mit welchem Betrachter rechnet diese Kunst? Ihr Sehangebot richtet sich gleichzeitig an eine kritische Zuschauerschaft wie an den heterosexuellen, männlichen Voyeur. Die privaten Vorlagen und ihre Positionierung im Kunstwerk, die wie das weibliche Aktbild als „Medium 'männlicher Genialität'" dienen, setzen auf eine geschlechterspezifische Blickweise. Die Veröffentlichung hat auch den Zweck, „den Zusammenhang einer männerbündischen Gemeinschaft ... zu sichern“ , wenn zwischen Betrachter und Künstler über das Werk eine Kommunikation unter Ausschluss des Nicht-Männlichen entsteht.

Exkurs: Der männliche Körper

Ein auffälliger Gegensatz zu der Häufung von Frauenkörpern in den Arbeiten der NO!art-Künstler ist, dass sie sich nur in Ausnahmefällen mit dem männlichen, sprich dem eigenen Körper, auseinandersetzen. Fast nie findet sich der ganze Körper, sondern nur als sein Stellvertreter das Fragment des erigierten Penis, der in den Collagen zwischen den Massen weiblicher Körper auftaucht. Eine Ausnahme bilden Herb Browns Plakatübermalungen, bei denen er mehrfach Paare oder Menschengruppen mit entblößten Unterleibern zeigt. In The Party (1964-66) prangert er die Gepflogenheiten snobistischer Party- und Müßiggänger an. Der Künstler charakterisiert die Männer durch die erigierten Penisse als sexuell extrem potent. Seine Position, dass die verlogenen Gespräche den eigentlich gemeinten sexuellen Unterton verdecken sollen, geht einher mit der Lust an der Darstellung der sexuellen Erregung. Nicht nur der Ekel vor derartigen Veranstaltungen ist Bildthema, sondern auch die narzisstische Betrachtung des eigenen Geschlechts..

Eine weibliche Sicht auf den männlichen Körper bieten die Arbeiten der in die NO!art-Gruppe involvierten Yayoi Kusama. In dieser Zeit bestimmen vor allem weiche, genähte Skulpturen das Werk der späteren Happening-Künstlerin. In den sogenannten Accumulations überziehen phallusähnliche Ausstülpungen Alltagsgegenstände wie beispielsweise Möbel. Durch die scheinbar ungehemmten Wucherungen erinnern sie an Pilze oder Tumore, die alles, was sie befallen, mit krankhaften Keimen durchsetzen. In der Folge wird das „infizierte" Objekt für den Gebrauch nutzlos. Lurie sieht Kusamas Phallusteppiche als Ausdruck ihrer Angst vor dem Männlichen. Er spricht von „Verfolgungsängsten vor wachsenden, sich bedrohlich vermehrenden Penisfeldern“ und deutet die Werke vor allem als Strategie zur Bekämpfung persönlicher Schwierigkeiten. Die intellektuelle Ebene der Arbeiten vernachlässigt er. Leslie Jones merkt an, dass die Arbeiten von Künstlerinnen häufig als Ausdruck „elementarer Gefühle" verstanden werden. Doch sind die Werke Kusamas vielschichtiger. Sie thematisieren durch die obsessive Verwendung der Phallusformen die Sehnsucht nach dem begehrten (Teil-)Objekt als instinktivem Ziel für die direkte Befriedigung der Wünsche. Gleichzeitig weist die Künstlerin durch die Einbeziehung von gewöhnlichen Gegenständen, die sie überwuchern, auf das Alltagsleben von Frauen hin. Kusamas Werke lösen als Zeichen des Unreinen Furcht aus und enthalten eine Boshaftigkeit gegenüber dem Männlichen, so dass sich die Werke auch als ihr Kommentar zum Geschlechterverhältnis lesen lassen.

Bilder des Machismo oder Anprangerung frauenverachtender Strukturen

In der NO!art-Bewegung fällt in Bezug auf den oben angesprochenen Spannungsbogen keine klare Entscheidung. Eine Bandbreite von Intentionen vermischen sich, welche die Ambivalenz dieser Kunst ausmachen. Grundlegend gilt, dass das, was als gesellschaftliches Tabu direkt oder indirekt vorgegeben ist, für die Künstler eine Herausforderung bedeutet. Wenn Stanley Fisher formuliert: „Anti-Kunst ist eine dauernde Menstruation wider die die Wissenschaft so lähmende Schwerkraft“, dann spielt er auf ein solches Tabu an. Die Herangehensweise an den weiblichen Körper ist zutiefst von dieser Ambivalenz geprägt. Das Herausholen der „Schmuddelpornos" von ihrem tabuisierten Platz unter der Ladentheke auf die Bildoberfläche konfrontiert den Betrachter mit dem Heimlichen. Schockeffekte sind durchaus beabsichtigt. Gleichzeitig betrachten die Künstler den Frauenleib wie der gehasste (Klein-)Bürger als das Fremde. Auch sie sehen ihn mit Faszination, aber auch mit Hass und Ablehnung. Die Gewalt, die sich in den Manifesten verbal gegen die Gesellschaft im allgemeinen richtet, richtet sich mit derselben Stärke auch gegen Frauen..

Es bleibt zu fragen, welchen Stellenwert der Angriff auf patriarchale Strukturen in der NO!art hat. Da die männerspezifischen Sichtweisen überwiegen, erscheinen sie eher als ein Nebenschauplatz unter wichtigeren politischen Ansätzen. Gleichzeitig waren aber auch - und das ist ungewöhnlich für den Beginn der sechziger Jahre - eine Anzahl von Künstlerinnen in die Bewegung involviert, was für einen möglichen Freiraum spricht, den sie dort gefunden haben. Um es zu verdeutlichen: Hier soll von einer Kunstrichtung, die in ihrer wütenden Auflehnung auch kritische Töne gegen patriarchale Strukturen in der Gesellschaft vernehmen ließ, keine inhaltliche Ausrichtung verlangt werden, die sich Positionen der späteren Frauenbewegung annähert oder sie gar vorwegnimmt. Aber eine Interpretation darf über die ambivalenten Standpunkte der Werke nicht hinwegtäuschen. Man kann sich den Worten von Simon Taylor anschließen, der im Zusammenhang mit dem Vorwurf, dass im Umfeld der „Abject Art" häufig Weiblichkeitsbilder gezeigt werden, die patriarchalische Ideen über den weiblichen Körper verstärken, meint, dass bestehende Stereotypen benannt und nicht geleugnet werden dürfen. Die Stärke der NO!art liegt eher in der generellen Verletzung sozialer Tabus und in der beunruhigenden Art, wie ihre „schmutzigen" Werke auf den Betrachter wirken, als in dem Angriff auf patriarchale Strukturen. Durch die eigene Verwicklung in das System fehlt den Künstlern die Distanz, die Gebundenheit eigener Positionen zu benennen.

Publiziert in: NO!art, Ausstellungskatalog, Berlin 1995

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ULRIKE ABEL ist Mitglied der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin und war dort Mitwirkende in der Arbeitsgruppe für die NO!art-Ausstellung 1995.

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